Rezension

Leader of the pack

Lola - Melissa Scrivner Love

Lola
von Melissa Scrivner Love

Lola Vasquez hört zu und nickt, wenn die Frauen in ihrer Küche sich über Kuchenrezepte und Nagelstudios unterhalten. Die anderen Frauen schieben ihre Hüfte seitlich nach vorn, als könnte jederzeit ein Kind darauf sitzen – Lola taxiert die Umgebung wie ein Wachhund und tastet beiläufig nach dem Messer in ihrer Tasche oder nach der Pistole in ihrem Hosenbund. Die anderen Frauen sind Hausfrauen aus dem Barrio, dem von Latinos und Schwarzen geprägten South L.A., berühmt und berüchtigt für schwierige soziale Verhältnisse, West Coast Hip Hop, Gang-Rivalitäten und Drogenhandel - Lola ist Teil dieser Welt seit sie denken kann  und heute der Boss einer Gang, den Crenshaw Six, eine kleine, eigentlich unbedeutende Crew im vielstufigen System, dass bei den mexikanischen und kolumbianisch Kartellbossen beginnt und bei dem kleinen Kurier an der Ecke endet. Lola führt die Crenshaw Six erfolgreich, vielleicht schafft sie es sie in der Hierarchie nach oben zu bringen und ein wesentlicher Teil dieses Erfolgs ist es, dass alle ihren Freund Garcia für den Boss halten und nicht sie. Als die mittlere Kartellebene die Crenshaw Six für einen „Job“ anheuert, wie immer geht es um Territorien, Lieferanten und Kunden, bei dem etwas schief läuft, ist Lolas Leben in Gefahr – das ist das Prinzip, wer es verbockt, der muss zahlen, Dieses System fährt sie selbst, also muss sie auch damit klar kommen, auf egal welcher Seite sie steht. Dessen ist sie sich bewusst, aber trotzdem ergreift sie den dünnen Strohhalm , herauszufinden, wer denn bei diesem schief gegangen Deal eigentlich wen gelinkt hat und wer auf wessen Gehaltliste stehen könnte.

 

Lola ist ein Badass im Tanktop und der Roman wirklich gut gemachte Unterhaltungsliteratur. Ein spannendes Szenario an sich, eine gut erzählte Geschichte mit der Genre oder Milieu-üblichen und erwartbaren für uns Normalmenschen unfassbaren Brutalität, den Rivalitäten, Intrigen, kleinen alltäglichen und lebensbedrohlichen Betrügereien. Denn, machen wir uns nichts vor, quasi JEDE Person in „Lola“ könnte für irgendetwas verhaftet werden und in vielen Fällen vermutlich auch eine sehr sehr lange Haftstrafe verbüßen müssen. Wir reden hier von mehrfachen Mördern und organisierter Kriminalität und trotzdem unterhält es ganz ausgezeichnet und im Moment des Lesens „verabscheut“ man auch niemanden für seine Taten – es ist Teil der Geschichte.

Grundsätzlich sind es die Frauen-Figuren, die allesamt den Roman, seine Atmosphäre und alle Handlungen beherrschen und entscheidend prägen – und zwar von den Hauptprotagonisten bis in die kleinste Nebenbesetzung – wer wollte Kim, Lolas „Freindin“ oder Lorraine, Darrell Kings Mutter ihren Wert für die Story absprechen, egal wie mächtig egal wie alt, angefangen von der fünfjährigen Lucy. Das hat mir ausgesprochen gut gefallen, nicht, weil ich denke, „juchhu, girlpower, endlich zeigt mal einer, wie die Mädels es drauf haben“ – nein, sondern weil es eben nicht in der Flut der derzeitigen Aufbereitung des süd- und mittelamerikanischen Drogenthemas in den Medien untergeht: Narcos, El Chapo, The Wire (wie viele Serien hat man in den letzten Jahren auf Netflix zu diesem Thema eigentlich mittlerweile gesehen? Und ja, Queen oft he South hat auch eine weibliche Protagonistin, aber mal so im Großen und Ganzen gesprochen); sondern sich davon abhebt und eine spannende, neue Geschichte erzählt. Was aber auch ein Stück weit logisch ist, denn es wird stringent aus Lolas Perspektive berichtet, und zumindest so lange sie den Schein einigermaßen aufrecht erhalten kann, führt sie eben zum Teil auch das Leben einer Latina in South L.A. und ist damit von ihren Geschlechtsgenossinnen umgeben oder nimmt sie doch noch einmal anders wahr, als die männlichen Bosse und Soldaten um sich herum. Natürlich hat die Autorin ihr übriges getan und an entscheidenden Schaltstellen auch die Damen der Geschichte als Drahtzieher zu postieren.

Sehr gut gefallen hat mir auch die Sprache der Autorin, die den Leser immer sehr unmittelbar an Lolas Erleben und Fühlen heranführt. Konsequent im Präsens gehalten, entsteht so das Gefühl eines sehr direkten Bezuges, sozusagen einem Live-Stream der Vorkommnisse. Es wird wenig über Planung oder Vergangenes berichtet, sondern mehr oder weniger immer der Moment geschildert.

 

Fazit: irgendwie ein Trendthema in den letzten Jahren, aber in diesem Fall ein wenig anders aufbereitet und schlichtweg gute, fesselnde Unterhaltung.