Rezension

Lebendige Erinnerungen an Berlin 1964

Die Berlinreise - Hanns-Josef Ortheil

Die Berlinreise
von Hanns-Josef Ortheil

Bewertet mit 4.5 Sternen

Hanns-Josef Ortheil veröffentlicht mit "Die Berlinreise" sein Reisetagebuch, das er mit zwölf 1964 verfasste. Zuerst war ich ob dieser Angaben etwas skeptisch, je länger ich las, desto glaubhafter wurden sie für mich. Denn Ortheil bereichtet, wenn vielleicht auch etwas altklug, deutlich aus einer kindlichen Perspektive. Dabei fallen ihm auch Details auf, die sein Vater selbst nicht wahrgenommen hätte.

Berlin ist für die Familie eine Schicksalsstadt, da das erste Kind einen Bombenangriff auf die Stadt nicht überlebte. Die Mutter zog dann in den Kriegsjahren mit dem zweiten Sohn zurück in den Westerwald (der Vater war als Soldat im Osten im Einsatz), aber auch dieser überlebte den Krieg nicht, zwei weitere Kinder starben kurz nach der Geburt. Ortheil selbst ist das fünfte Kind. Für die Mutter war Berlin ein Ort, den sie zu verdrängen versuchte - so war es nur folgerichtig, dass der Vater nur mit dem Sohn nach Berlin fuhr, um nochmal alte Freunde zu treffen. Gerade die Teilung Berlins, die zum Zeitpunkt der Reise noch keine drei Jahre her war, war aber auch für den Vater belastend.

Ich habe in den Schilderungen der Berlinreise viel wiedererkannt, insbesondere die Stimmung in der geteilten Stadt. Und manche Schilderungen des Erwachsenenlebens aus kindlicher Sicht brachten mich durchaus zum Schmunzeln. Insgesamt war der Text für mich eine schöne Entdeckung, von Ortheil möchte ich gerne noch mehr lesen.