Lebendige Geschichte
Bewertet mit 5 Sternen
Im Jahr 1474 ist Karl der Kühne von Burgund einer der mächtigsten europäischen Fürsten, sein Wunsch nach immer noch mehr Macht treibt den Eroberer an. Das kleine Nuyss (heute Neuss) meint er mit seiner Armee, die als eine der größten und am besten ausgerüsteten der damaligen Zeit gilt, quasi im Vorbeigehen einzunehmen. Doch die Nuysser denken gar nicht daran, sich der zehnfachen Übermacht zu ergeben und leisten tapfer Widerstand. Fast ein Jahr lang wird der Kampf um die Stadt dauern…
Was für ein packendes Stück Geschichte! Dem Autor Peter Bunt ist es gelungen, die historischen Ereignisse um die Belagerung von Nuyss in eine Romanhandlung zu verpacken, die mich förmlich ans Buch fesselte! Zu den Hintergründen hat er umfangreich recherchiert und die zahlreichen Fakten und Personen mit einigen fiktiven ergänzt. Das Ergebnis ist eine chronologische Schilderung, die keine Schauplätze auslässt. Der Leser erlebt den täglichen Überlebenskampf der Bürger, er ist mitten in den Schlachten dabei, verfolgt Ereignisse im Feindeslager und an Orten, die zwar nicht in oder um Nuyss liegen, aber an denen trotzdem über das Schicksal der Nuysser Bürger mitentschieden wurde.
Es wird brutal, es wird blutig. Krieg ist so. An einigen der Protagonisten sieht man, wie er zudem die Menschen verändert. Und obwohl man mit den Nuysser Helden mitfiebert, muss man kein kriegsverherrlichendes Epos fürchten, denn der Überlebenskampf auf dem Schlachtfeld lässt die Helden selbst zu brutalen Killern werden. Ihren Ängsten versuchen sie mit markigen Sprüchen und einer guten Portion Galgenhumor Herr zu werden. So manches dabei ließ mich schmunzeln, beispielsweise zeichneten sich die „Motivationsansprachen“ eines Hauptmanns durch eine enorme Kreativität in Sachen Erfindung und Nutzung von Schimpfwörtern aus, allesamt „abgesegnet“ durch einen äußerst streitbaren Franziskanermönch.
Der Stil ist packend, nimmt den Leser mit ins Geschehen. Die Atmosphäre ist so dicht, dass man meint, den Lärm zu hören, den Gestank zu riechen. Und selbst wenn man weiß, wie die Geschichte ausgeht, bleibt die Spannung hoch.
Im Anhang zeigt der Autor auf, welche Quellen er genutzt hat, ein umfangreiches Register historischer Personen und Begriffserklärungen schließt sich an. Ich habe dieses während des Lesens oft und gerne zu Hilfe genommen.
Sehr aufschlussreich fand ich auch seine Ausführungen, welche Auswirkungen ein anderer Ablauf auf die Geschichte ganz Europas hätte haben können. Die Menschen in Nuyss werden sich mit solchen Gedanken kaum befasst haben, sie kämpften schlichtweg um ihr Leben, um ihre Heimat. So nachvollziehbar diese Motive sind, so fassungslos macht wieder einmal die Erkenntnis, wieviel Leid zu allen Zeiten durch politische Machtspiele hervorgerufen wurde und wird.
Fazit: So wird Geschichte lebendig! Packend, umfassend, bildgewaltig und differenziert – eine 5-Sterne-Empfehlung für jeden Geschichtsinteressierten!
»Über zehntausend Tote nur in und um Nuyss! Und warum das alles? Habt Ihr eine Antwort darauf? … Hat ihr Tod im Bewusstsein der Verantwortlichen etwas bewirkt? Nein! Der Bürger, der Bauer, der Handwerker, der einfache Mensch der nichts mit den Ränkeschmieden derer zu tun hat die sich für die Herren dieser Welt halten ist immer derjenige, der für die Dummheit der Mächtigen büßen muss.«