Rezension

Lebensträume und andere Meinungsverschiedenheiten

Das Gift der Seele - Michelle Frances

Das Gift der Seele
von Michelle Frances

Bewertet mit 4.5 Sternen

Laura Cavendish führt augenscheinlich genau das Leben, was sich andere erträumen. Eine gesunde Vorzeigefamilie, Erfolg im Beruf und Luxus, wohin das Auge schaut. Zwar fehlt es der Ehe mit Anwalt Howard an Wärme und Zuneigung, Sohn Daniel ist jedoch ihr ganzer Stolz. Als der angehende Mediziner die Immobilienmaklerin Cherry Laine kennenlernt, ist Laura zunächst guter Dinge und freut sich für ihn. Und auch Cherry kann es kaum abwarten, Daniels Eltern kennenzulernen und ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Beide hoffen auf freundschaftliche Bande zwischen Schwiegermutter und -tochter in spe. Tatsächlich aber werden sie nicht warm miteinander. Schlimmer noch: Ein Kleinkrieg beginnt! Cherry ist nicht ganz ehrlich, Laura findet es heraus. Laura durchsucht persönliche Sachen, Cherry bemerkt es. Ereignis folgt um Ereignis. Schließlich verpasst Cherry Daniels Mutter einen Denkzettel und entführt ihn ausgerechnet an Lauras Geburtstag zu einem Wildwasser-Raftingtrip mit ungeahnten Folgen. Ein Unfall verursacht eine schwere Kopfverletzung. Daniel muss in ein künstliches Koma versetzt und beatmet werden. Nach einer Lungenentzündung und mehreren Herzinfarkten stehen die Prognosen schlecht. Die Ärzte geben ihm nur noch wenige Stunden. Laura bricht es das Herz. Sie fasst einen abscheulichen Entschluss …

DAS GIFT DER SEELE bahnt sich in vierundfünfzig Kapiteln, eingebettet in Pro- und Epilog, unaufhaltsam seinen Weg. MICHELLE FRANCES erzählt in dritter Person Singular aus wechselnden Perspektiven über Vergangenheit und Gegenwart. Vor allem Laura und Cherry erhalten ausreichend Raum, ihr Denken und Handeln sowie die Motivation dahinter preiszugeben. Der Leser kann sich von beiden Charakteren ein umfassendes Bild machen. Und so manches Mal möchte man sie in einen Sack stecken und so lange draufhauen, bis sie zur Vernunft kommen! Laura und Cherry sind Figuren mit Ecken und Kanten. Beide streben das gleiche Ziel an, stehen aber vor allem sich und einander im Weg. Sie sind zerfressen von Zweifeln und tragen die Last vergangener Tage auf den Schultern. Leidtragender ist vor allem Daniel, der mehr oder weniger konstant zwischen ihnen steht. Die enge Bindung von Mutter und Sohn bekommt Risse. Eine gute Beziehung zwischen Schwiegermutter und -tochter kann auf diese Weise gar nicht erst entstehen. Als sich der Prolog nach etwas mehr als der Hälfte des Buchs zeitlich ins Geschehen einfügt, trumpft die Autorin mit einer Überraschung auf. Man möchte fast schmunzeln in Anbetracht dessen, was noch folgen mag. Von Beginn bis Ende herrscht eine angespannte Atmosphäre. Das umfassende Kopfkino katapultiert den Leser von einer Situation zur nächsten – kopfschüttelnd, fassungslos, mitunter erschrocken. Man fragt sich ständig, was wohl als nächstes passiert. Ein wirklich gelungenes Romandebüt!

DAS GIFT DER SEELE erscheint als handliches Taschenbuch im Goldmann Verlag. Das Covermotiv ist hübsch, im Vergleich zum spannungsgeladenen Inhalt fast schon unscheinbar. Durch die weiße Blüte auf schwarzem Hintergrund ist Unheil dennoch gewiss.

Fazit:

DAS GIFT DER SEELE ist heimtückisch, fesselnd und hält die ein oder andere Überraschung bereit. MICHELLE FRANCES hat mich mit spannender Unterhaltung überzeugt. Ein Romandebüt par excellence!