Rezension

Lebenswege der Frauen mit immer gleichen Hürden

Kim Jiyoung, geboren 1982 -

Kim Jiyoung, geboren 1982
von Nam-joo Cho

Bewertet mit 4.5 Sternen

Kim Jiyoung, eine Frau wie jede

„Es gibt viele Menschen, die die Augen vor der Tatsache verschließen, dass Dinge wie Wirtschaftsflaute, hohe Preise, ein schlechter Arbeitsmarkt oder persönliche Lebensnöte Mann und Frau gleichermaßen treffen.“

Inhalt

Für Chong Daehyon ist es erschreckend, dass seine Frau nach der Geburt des ersten gemeinsamen Kindes ernstlich an einer Depression erkrankt und in bestimmten Momenten ihre Stimme und den Charakter ändert, um stellvertretend für andere zu sprechen. Er geht mit ihr zu einem Therapeuten, der die Ursachen dieser Veränderung herausfinden soll, doch der ist sich ziemlich sicher, dass es für Kim Jiyoung keine Medikamente gibt, denn was die junge Frau durchlebt, hat er selbst an seiner eigenen Frau wahrgenommen und die Gründe sind kein festgeschriebenes Krankheitsbild, sondern die akute Verzweiflung der Frauen immerzu zwischen allen Stühlen zu sitzen und egal welche Entscheidung sie treffen, es ist niemals die richtige. Sie sind gebildet, sie sind höflich und zuvorkommend, sie sind engagiert in ihrem Beruf und ganz bewusst Mutter geworden, doch die Rolle, die sie für die Gesellschaft spielen gesteht ihnen keinen Platz zu und orientiert sich an übernommenen Denkmustern und fehlender Bereitschaft, Frauen als einen wesentlichen Bestandteil der Welt wahrzunehmen …

Meinung

Die junge koreanische Autorin Cho Nam-Joo hat mit diesem Roman ein Statement abgegeben, dem man mit zunehmender Begeisterung folgen kann, weil ihre Gesellschaftskritik weder anmaßend, noch schockierend, noch unbedeutsam erscheint, sondern sich an schlichten, unabwendbaren Fakten orientiert, die sie mittels Quellentexten direkt in die Geschichte einbaut. Sie selbst hat es so erlebt, ebenso wie tausende andere. Im Nachwort gibt sie in einem schlichten Satz wieder, was es eigentlich mit diesem Stück zeitgenössischer Literatur auf sich hat: „Die ganze Zeit über, in der ich diesen Roman schrieb, hatte ich Mitleid mit ihr und war bedrückt. Doch ich weiß, dass sie genauso aufgewachsen ist und keinen anderen Weg gewusst hat.“ Und der Erfolg des Buches, welches sich weltweit schon über zwei Millionen mal verkaufte und mittlerweile erfolgreich verfilmt wurde gibt ihr jene Stimme, die ihre Protagonistin so gerne hätte, ein Wort welches nicht nur eine leere Phrase ist, sondern wirklich Veränderungen herbeizuführen vermag.

Der Schreibstil des Buches ist eher distanziert, man spürt die Emotionen weniger direkt als vielmehr unterschwellig im Verhalten der Akteure. Dieser Abstand zwischen den tatsächlichen Gefühlen wie Wut, Scham, Verletzlichkeit, Unverständnis und Anpassung wird aber gerade durch diese sachliche Intonation sehr generalistisch und präsent. Denn die Autorin führt sehr langsam und Schritt für Schritt an diese geballten Vorwürfe heran, die sie eigentlich nicht als solche entlarvt und die dennoch genau das sind: Vorwürfe, warum es auch in der Gegenwart nicht möglich ist, als Frau freie Entscheidungen zu treffen. Dabei klagt sie nicht nur eine Person an, sondern de facto das Zusammenspiel aller Faktoren, welches sich möglicherweise durch Erziehung und Konsequenz ergibt.

Sie geht auch zurück in die Generation der Mütter und Großmütter, die sich bei der Geburt eines Mädchens schon schlecht fühlten und später sogar zu Abtreibungen angehalten wurden, damit dem Land um Himmels Willen keine männlichen Nachkommen vorenthalten werden. Sie thematisiert das stigmatisierte Heranwachsen der Mädchen, die schon als kleine Kinder all jene Fähigkeiten beigebracht bekommen, die sie später als gute Frau und Mutter beherrschen müssen. Sie macht ebenso deutlich, dass sich die Bildungschancen zwar für beide Geschlechter gebessert haben, aber Geld und Einfluss eine große Rolle spielen, wer, wann, welchen Posten oder welche Ausbildung bekommt. Spätestens wenn die Frauen sich für eine eigene Familie entscheiden, ist ihr berufliches Fortkommen ad acta gelegt, denn die Männer in der Gesellschaft wollen keine arbeitenden Mütter und staatliche Unterstützung bleibt aus, ganz im Gegenteil, sie ist entweder nicht bezahlbar oder nicht lohnenswert, und wenn die Frau dennoch arbeiten möchte, lassen sich weder die Zeiten noch das geringe Einkommen damit vereinbaren. Warum sollte denn eine Mutter arbeiten gehen, wenn doch der Mann der Versorger ist?

Fazit

Ich vergebe sehr gute 4,5 Lesesterne für diesen fiktiven Roman, der so viele Wahrheiten auf wenigen Zeilen hervorzuheben vermag. Der Wert einer Frau, ihr Wirken in der Welt, ihr tatsächlicher Einfluss außerhalb der Familie – all das wird auf bedrückende Art und Weise vermittelt.

Die Geschichte selbst umspielt eine gewisse Zeitlosigkeit, eine Einfachheit, die jeder irgendwo kennt und in mehr oder weniger hohem Maße bestätigen kann. Dadurch wird der Text universell und eignet sich für fast jeden Leser, egal ob für die Verfechter der Frauenrechte oder für Männer, die die Sorgen und Nöte der eigenen Frau nicht verstehen, wenn diese plötzlich Mutter geworden ist. Möglicherweise wird so ein Roman in entsprechenden Kulturen, die eher rückschrittlich orientiert sind, noch mehr Aufruhr verursachen, denn in vielen kleinen Nebensätzen ergießt sich das ganze Ausmaß der Kritik, die hier schön sachlich und wohldosiert verpackt wird.

Schade nur, dass ich den direkten Bezug zu den Personen vermisst habe– dadurch das es eine so universelle Geschichte ist, fehlt ihr eine für mich nennenswerte Individualität. Deshalb ziehe ich ein halbes Sternchen ab, verbunden mit der Bitte, dass sich möglichst viele Leser an die Lektüre wagen und ihre eigenen Schlüsse daraus ziehen.