Rezension

Leider höchst einseitig

Frau Einstein - Marie Benedict

Frau Einstein
von Marie Benedict

Bewertet mit 3 Sternen

»Ich drückte die Klinke herunter und öffnete die Tür. Sechs Augenpaare richteten sich auf mich: fünf von in dunklen Anzügen steckenden Studenten und eines von einem Professor in schwarzer Robe. Verständnislos bis feindselig sahen sie mich aus ihren blassen Gesichtern an – offenbar waren sie vollkommen unvorbereitet auf eine weibliche Kommilitonin. Sie sahen fast schon ein bisschen komisch aus mit ihren aufgerissenen Augen und den offen stehenden Mündern, aber ich verkniff mir ein Lachen. … Ich war am Polytechnikum, weil ich Physik und Mathematik studieren wollte – nicht, um neue Freunde zu finden oder anderen zu gefallen.«

20. Oktober 1896, im Polytechnikum in Zürich. Für Mileva Marić war der Weg hierhin ein schwerer, fast unmöglich zu begehen für eine Frau in dieser Zeit. Ihre Herkunft machte alles noch komplizierter, kam sie doch aus Serbien. Doch mit großer Unterstützung ihres Vaters und enormem Ehrgeiz hatte sie es nun geschafft, ihrem Traum, eine der ganz wenigen Professorinnen für Physik in Europa zu werden, einen gewaltigen Schritt näher zu kommen. Mit Feuereifer stürzt sie sich in ihre Studien, stellt jedoch bald fest, dass einer der Kommilitonen nicht so uninteressant ist, wie sie zunächst annahm. Sie beginnt eine Beziehung mit niemand anderem als Albert Einstein.

Kurz vor der entscheidenden Prüfung wird sie schwanger, sie versagt und muss die Uni ohne Diplom verlassen. Noch unverheiratet bringt sie ihr erstes Kind zur Welt, später wird Einstein sie zwar heiraten, aber ihr Leben wird ganz anders verlaufen, als sie es sich erhofft hatte.

 

Dieses Buch lässt mich ein wenig verärgert zurück. Die Leseprobe ließ mich glauben, dass ich hier die Geschichte einer starken Frau erwarten dürfte, die für einen Traum kämpft und doch verliert. Dieser Eindruck hielt sich leider nicht lange.

 

Das Buch schildert Mileva Marić als hochbegabte Frau, die zunächst noch intensiv mit ihrem Mann wissenschaftlich zusammenarbeitet, die großen Anteil an seinen Forschungen hat, gar höchstpersönlich den Aufsatz zur Relativitätstheorie schrieb. Und Einstein? Er ist hier der Böse, der seiner Frau die Arbeiten stiehlt, den ganzen Ruhm für sich beansprucht und sie zur Hausfrau degradiert. Tut mir leid, das ist mir zu einseitig und erscheint mir auch nicht logisch.

 

Hätte eine Frau mit einer solchen Begabung wirklich die Uni ohne Abschluss verlassen müssen? Schwanger und von Übelkeit geplagt durch eine Prüfung zu fallen, ist nachvollziehbar. Aber das war bereits die zweite Prüfung, im Jahr zuvor war sie schon mal durchgefallen.

Und hätte eine Frau mit einer tatsächlichen Hochbegabung und wirklich für die Wissenschaft brennend, sich so zurückgenommen, sich so ins Abseits drängen lassen? Angeblich, so lässt der Einstieg in den Roman glauben, war sie es gewohnt, zu kämpfen und sich gegen Widerstand und Vorurteile zu behaupten. Das soll plötzlich alles fort gewesen sein? Wenn sie wirklich so bedeutend zu den Forschungen ihres Mannes beigetragen hat, hätte sie ihn einfach auflaufen lassen können. Stattdessen ließ sie sich immer wieder einlullen, ist das ein Zeichen für Intelligenz?

Es gibt keinerlei Veröffentlichungen von ihr, nicht einmal (abgesehen von ein paar Vorlesungsmitschriften) irgendwelche Aufzeichnungen, keinen Beweis für ihre angeblichen wissenschaftlichen Arbeiten, auch nicht aus den Jahrzehnten nach der Trennung von ihrem Mann. Natürlich hätte sie es schwer gehabt, vielleicht hätte sie ohne Diplom beruflich wirklich nichts erreichen können, aber zumindest privat hätte sie doch ihre Gedanken niederschreiben müssen! Doch da gibt es nichts.

 

So ist mein Eindruck eher, dass sie zwar ein naturwissenschaftliches Interesse hatte und intelligent war, aber nicht hochbegabt. Dass sie den Weg zum Studium schaffte, weil ihr Vater (in der Annahme, sie würde wegen einer leichten körperlichen Behinderung nie einen Mann finden) sie förderte. Dass sie Einstein zur Reflektion seiner Gedanken diente, ihn vielleicht auch unterstützte, aber nicht für die Wissenschaft brannte. Zudem fehlte es ihr an Selbstbewusstsein und an Durchsetzungsvermögen. Ohne diese Fähigkeiten hätte sie es selbst heute als Frau nicht weit gebracht. Ihrem Mann die komplette Schuld an ihrem Versagen zu geben, erscheint mir nicht angebracht.

 

Die Autorin schreibt im Nachwort, dass es nicht ihr Ziel wäre, Albert Einsteins Beitrag zur Wissenschaft zu schmälern, aber so wie sie schreibt, geschieht genau das. Vielleicht war seine menschliche Seite fragwürdig, eine objektive Betrachtung sieht aber anders aus.

 

Für wen ist das Buch geeignet? Für Freunde dramatischer Liebesgeschichten, denen es wichtiger ist, dass es eine schöne historische Kulisse gibt, eine in die Zeit passende Sprache und berührende Dialoge. Die viel Wert legen auf hochemotionale Mutter-Kind-Begegnungen und denen es im Gegenzug nicht viel bedeutet, wie es um den möglichen Wahrheitsgehalt der Geschichte steht. Wenn man lediglich diese Ansprüche ansetzt, das Buch von realen Personen löst und als bloßen Roman betrachtet, dann ist es gut geschrieben, liest sich leicht und geht ans Herz. Daher runde ich meine Bewertung von 2,5 auf 3 Sterne auf.

 

Ein kleiner Zweifel nagt in mir. Vielleicht tue ich Mileva Marić Unrecht? Aber das Interesse der Autorin, ihrem Gedenken Gutes zu tun, ist in meinen Augen durch die stark einseitige Darstellung gründlich misslungen.

 

Fazit: Eigentlich eine sehr interessante Thematik, aber höchst einseitig geschildert. Für Fans von dramatischen Liebesgeschichten aber vermutlich sehr unterhaltsam.