Leinen los für drei starke Frauen!

Beachcombing for a Shipwrecked God
von Joe Coomer

Bewertet mit 4 Sternen

Charlotte, eine junge Archäologin, ist kürzlich Witwe geworden und auf der Flucht vor ihren penetranten Schwiegereltern. In der Hafenstadt Portsmouth findet sie einen neuen Job bei Ausgrabungsarbeiten und eine ungewöhnliche Unterkunft auf dem alten Hausboot "Rosinante". Weitere Bewohner sind Rosinantes exzentrische Besitzerin Grace, eine ältere Dame, die den Ort mit Street Art verschönert sowie die junge, stark übergewichtige Chloe und die sabbernde Bulldogge Pinkie. Ursprünglich war Grace mit ihrem Ehemann unterwegs zu Prince Edward Island, ein Muss für jeden eingefleischten Fan von "Anne of Green Gables" - das Buch hat George der gemeinsamen Tochter Anne früher vorgelesen. Nun ist George tot - gestorben ohne Prince Edward Island jemals gesehen zu haben, und Anne ist eine verbitterte erwachsene Frau geworden, die mit ihrer Mutter Grace zerstritten ist. Auch Chloe steckt in Schwierigkeiten: Sie ist schwanger von ihrem brutalen Freund Roger, wagt es aber noch nicht ihm zu verkünden, dass sie sich von ihm trennen will. Schnell fühlt sich Charlotte in dieser ungewöhnlichen Wohngemeinschaft heimisch und findet in ihren beiden Mitbewohnerinnen eine Ersatzfamilie. Doch die Idylle währt nicht lange: Charlotte wird von ihren Schwiegereltern aufgespürt, die ihr eine Mordanklage anhängen wollen. Grace, die einen Schlaganfall hatte, soll von ihrer Tochter Anne ins Heim gesteckt werden, und Roger geht öffentlich auf Chloe los, nachdem er von ihren Trennungsabsichten erfahren hat. Geistesgegenwärtig kappt Charlotte die Taue und Rosinante geht auf große Fahrt. Einmal unterwegs, beschließen die drei Frauen, den Traum von Grace und "Sweet George" zu verwirklichen und eine Pilgerfahrt nach "Green Gables" zu unternehmen - mit der Polizei dicht auf den Fersen....

Ich habe "Beachcombing for a Shipwrecked God" in diesem Sommer zum zweiten Mal gelesen, weil es mir so gut gefallen hat. Entgegen der sich spektakulär anhörenden Handlung ist es ein ruhiges Buch; bis die drei Frauen mit Rosinante in See stechen, hat man als Leser bereits Dreiviertel des Buches hinter sich gebracht. Erst einmal lernt man Rosinante und ihre Bewohner intensiv kennen und schließt sie bald ins Herz.
Joe Coomer schafft es, die drei Frauen sehr lebensecht zu schildern: Alle haben ihre Stärken und Schwächen, machen Fehler, sind manchmal ungerecht zueinander und nicht einfach nur sympathisch oder unsympathisch; selbst Graces unleidliche Tochter Anne hat verständliche Gründe für ihr Handeln.
Für subtile Spannung sorgt auch, dass man bis zum Ende immer nur Andeutungen über den Tod von Charlottes Mann Jonah erhält - was ist überhaupt passiert und wie viel Wahrheit steckt in den Anschuldigungen ihrer Schwiegereltern?
Gut gefallen hat mir, dass die tatsächliche Hintergrundgeschichte dann etwas gänzlich Unspektakuläres war, das dafür aber umso eindringlicher wirkt und berührt.
Man merkt dem Buch auch an, dass der Autor selbst begeisterter Besitzer eines Bootes ist und sich mit der Materie auskennt. Durch Charlotte erfährt man nebenbei außerdem einiges über Archäologie.
Wer Action und rasante Spannung sucht, ist hier falsch, aber wer ruhige Romane mit sich langsam entwickelnden Charakteren in einer ungewöhnlichen Umgebung mag, dem sei dieses kleine Juwel wärmstens empfohlen. Und allen Freunden von "Anne auf Green Gables"  sowieso.