Rezension

Leise Töne, ferne Welten

Der englische Botaniker - Nicole C. Vosseler

Der englische Botaniker
von Nicole C. Vosseler

Bewertet mit 3.5 Sternen

Der junge Botaniker Robert Fortune hat sich aus ärmlichen Verhältnissen zum Leiter der Treibhäuser der Horticultural Society of London hochgearbeitet. Auf seinen Posten ist er stolz, ebenso auf seine Frau, sein kleines Cottage und seine zwei Kinder. Doch er will mehr. Seine Leidenschaft gilt den Pflanzen und sein Traum ist es, sich in der Botanik einen Namen zu machen. Etwas Neues zu entdecken, das sich im besten Fall auch finanziell niederschlägt. So reist er ins ferne China, dessen Boden Fremde erst seit kurzem betreten dürfen.

Mich hat die Geschichte erst mit der Zeit gepackt. Zu lange dümpelt es vor sich hin, ohne das wirklich viel passiert. Fast in der kompletten ersten Hälfte des Romans reist Robert zu der einen oder anderen Stadt und ist begeistert von der Pflanzenwelt dort. Auf diesen Reisen lernt er auch Lian kennen. Die junge Frau ist eine Jianghu – eine freie Schwertkämpferin, die allein durch China reist, sich der Gerechtigkeit verpflichtet hat und dem Volksglauben nach Glück bringen soll. Robert und Lian nähern sich nur zaghaft an. Doch sind beide fasziniert von der Fremdartigkeit des andern.

Ab der Hälfte etwa, hat es mir dann auch sehr gut gefallen. Hier kommt Schwung in die Geschichte! Roberts Pläne nehmen Form an, gleichzeitig ist er sich seinen Gefühlen nicht mehr sicher, wir erfahren mehr über Lians wirklich interessante Vergangenheit und die Beschreibungen Chinas werden packender und faszinierender, je weiter man ins Landesinnere eindringt. Besonders wie Lian die verschiedenen Völker beschreibt war toll - ihre spezielle Kleidung oder ihr spezielles Handwerk, die Region in der sie leben. Fast schade, dass Robert selbst Anfangs so sehr auf die Pflanzen konzentriert war. Gegen mehr „Lokalkolorit“ in Form von Menschen, Speisen oder Städten hätte ich auch zu Beginn des Buches nichts einzuwenden gehabt.

Roberts Frau Jane, die allein mit zwei kleinen Kindern in einer noch fremden Stadt auf seine Rückkehr wartet, kommt in kurzen, kursiv gedruckten Abschnitten zu Wort. Erst eher Nebensache, mausert sich die Geschichte der „Daheimgebliebenen“ im zweiten Teil des Buches zu einer durchaus interessanten. Schade, dass das erst so spät passierte. Jane ist ein toller Charakter: Bodenständig, stark, eigenständig, zweifelnd, zunehmend emanzipiert, intelligent und leidenschaftlich hätte sie für mich gerne mehr im Fokus stehen dürfen.

Robert Fortunes Beziehung zur verschlossenen Lian ist sehr schön beschreiben. Sie scheint ihn genauso zu faszinieren und zu verzaubern wie das Land selbst. Und auch seine sanfte, ruhige Art lässt sie, die immer auf der Flucht zu sein scheint, mehr und mehr Vertrauen fassen. Allerdings führt der Klappentext hier einmal mehr in die Irre. Lian lehrt Robert keinesfalls „Planzen und Tee zu kategorisieren“. Als Botaniker kann er das weitaus besser selbst. Eher lernt sie von ihm die Pflanzen zu schätzen und ist ihm eine kundige Führerin. Doch die Pflanzen, die Robert am liebsten nach England exportieren würde – Pfingstrosen und Tee - sind den Chinesen heilig und werden unter keinen Umständen an „fremdländische Barbaren“ verkauft. War seine Reise also umsonst?

Wer eine ruhige Geschichte lesen möchte, Pflanzen mag und fremde Länder, wer ein bisschen geduldig ist und leise Töne schätzt, der kann hier durchaus zugreifen. Ich hätte mir vor allem zu Beginn eine straffere Handlung gewünscht. Trotzdem ließen sich die 500 Seiten schnell und flüssig lesen. Lust auf eine Reise ins Unbekannte, auf Exotik, auf hohe Berge an deren Gipfeln alte Klöster kleben, auf sanft geschwungene Reisfelder, auf unfassbare Weite und bunte Blütenmeere macht die Geschichte allemal.