Rezension

Leises Buch mit klugen Gedanken um Kriegsgefangenschaft in den USA und Nazis

Ein mögliches Leben
von Hannes Köhler

Bewertet mit 4.5 Sternen

Dies ist ein Buch mit ruhig dahin fließendem Geschehen. Action gibt es kaum, wohl aber eine Fülle kluger Gedanken in poetischer Sprache. Zwar fand ich das Buch im Mittelteil ein klein wenig langweilig, aber als ich es zuklappte, hat es mich gedanklich noch eine Weile beschäftigt und auf eine stille Art begeistert.

Es ist die Geschichte von Franz und seiner Familie, in zwei Handlungssträngen erzählt: seine Reise in die USA und die Rückkehr, damit verbunden die Erinnerungen an vergangene Zeiten.

Franz ist fast 90, aber noch sehr rege. Das Internet hat ihm eine neue Welt eröffnet und dazu geführt, dass er das Kriegsgefangenenlager in den USA wiedergefunden hat, in dem er Jahre seines Lebens verbrachte. Sein Enkel erklärt sich bereit, mit dem 'Alten', wie er ihn etwas geringschätzig nennt, die Reise in die Vergangenheit anzutreten. Eigentlich kennen sie sich wenig, wissen nicht viel voneinander und als Leser erfahren wir ganz nebenbei, dass auch die Mutter Barbara, Tochter von Franz, zu ihrem Vater kein gutes Verhältnis hat. Auch Martin hat seine Probleme, hat ein Kind, ist mit der Mutter aber nicht verheiratet.

Aber nun tauchen wir tief in die Erinnerungen des Großvaters ein, die den Hauptteil des Buches ausmachen. Er wurde in Cherbourg/Frankreich gefangen genommen und in ein Kriegsgefangenenlager nach Texas gebracht, ein Glück, weil für ihn der Krieg damit zu Ende war. Zwar mussten sie in der glühenden Hitze von Texas hart bei der Ernte mitarbeiten, aber die Genfer Konventionen wurden von den Amis eingehalten und es gab genug zu essen.

 

Man könnte also denken: alles gut. Doch die Gefahr lauerte in den eigenen Reihen. Hitler-Anhänger, Nazis, Unbelehrbare bauten im Lager eine Atmosphäre von Bespitzelung und Bedrohung auf. Die Amerikaner wussten nichts von diesen Vorgängen und hielten die Deutschen etwas naiv für Kameraden.

"Die Braunen sagen, wo's lang geht und die anderen halten die Schnauze." (86)

Sollte man gegen sie vorgehen oder schweigen? Freund Paul, inzwischen 'bekehrt': "Irgendwann muss man sich einfach entscheiden und die Konsequenzen tragen. … Man kann sich nicht immerzu raushalten." (166)

Diese gradlinige Haltung wird ihn das Leben kosten; Franz lässt sich verhaften, damit ihm nicht das gleiche passiert. Er wird nach Utah verlegt. Auch dort gibt es Unbelehrbare, z.B. den 'kleinen Hitler', aber Franz hat genügend Mitstreiter und seine Einstellung ist nun gefestigt: "Klare Fronten von Anfang an." (264)

Das beherzigt er auch, als er aus der Gefangenschaft ins Nachkriegsdeutschland zurückkehrt. Er ist später daran beteiligt, Nazis aufzuspüren, was gar nicht so einfach war. "Viele hatten nämlich … selbst ganz und gar vergessen, dass sie Nazis waren."

Am Ende des Buches klärt sich auch auf, warum er so ein schlechtes Verhältnis zu seiner Tochter hatte und was es mit dem verlorenen Fingerglied auf sich hat, von dem immer wieder die Rede ist und zu dem es verschiedene Geschichten gibt.

Das alles wird in poetischer Sprache erzählt, in unverbrauchten Wortbildern, die im Leser mit wenigen Worten die jeweilige Atmosphäre erwecken:

"Es ist, als wehten Gedanken umher wie Böen vor dem Ausbruch eines Gewitters." (167) - "Das Haus knirschte und ächzte. Vor den Fenstern saß eine schwere Dorfdunkelheit." (208)

Langsam enthüllen sich die Erinnerungen und die Probleme des heutigen Familienlebens für den aufmerksamen Leser. Allerdings sollte man keine Spannung von diesem Buch erwarten, sondern sich mit dem Autor und Franz auf Gedanken zu Schuld und Widerstand einlassen. Ich finde das Buch großartig und lesenswert.