Rezension

Lesehighlight 2020

Das Buch Ana - Sue Monk Kidd

Das Buch Ana
von Sue Monk Kidd

Was wenn Jesus eine Frau gehabt hätte? Wenn sie Judas`Schwester gewesen wäre und zudem eine ganz außerordentliche Persönlichkeit, ihrer Zeit weit voraus? Diese Fragestellungen und noch viel mehr verwebt Sue Monk Kidd in ihrem neuen Roman zu einer Geschichte, die nur als grandios bezeichnet werden kann.

Ich hätte nicht gedacht, dass mich ein Roman, in dem Jesus eine so große Rolle spielt, derartig faszinieren könnte. Doch hier geht es vorwiegend um die Jahre in seinem Leben, über die kaum etwas überliefert wurde. Jesus wird hier zu einem plastischen Menschen aus Fleisch und Blut. Die Frage, ob er tatsächlich von göttlicher Abstammung gewesen sein könnte, spielt nur eine vollkommen untergeordnete Rolle. Der Roman ist auch für Menschen wie mich, die das Christentum für zu patriarchalisch und zu wenig naturverbunden halten, von großer Faszination.

Im Mittelpunkt steht hier nämlich die junge Ana, Tochter aus gutem Hause, die viel lieber ein Schriftgelehrte wäre, als den ihr von den Eltern aufgezwungenen Verlobten zu heiraten. Als Frau hat sie kaum eine Wahl, was die Autorin so beeindruckend zu schildern weiß, dass ich den Roman nach kurzer Zeit kaum mehr aus der Hand legen mochte. Dass Ana ihren Traum weiter verfolgen  und schließlich sogar eine Liebesheirat mit Jesus eingehen kann, verdankt sie vor allem Zufällen.

Virtuos baut Kidd historische Figuren in den Roman ein, so etwa Herodes Antipas und, wie schon erwähnt, Judas als Anas Bruder. Zu Judas' Beweggründen für seinen sprichwörtlich gewordenen Verrat an Jesus bekommt man hier einen völlig neuen, sehr stimmigen Blickwinkel geliefert.
Durch die Nebenfiguren, allen voran starke Protagonistinnen wie Anas Tante Yaltha oder ihre Freundin Tabitha, gewinnt Anas Geschichte eine große Vielschichtigkeit und bewegt sich immer wieder fort von Jesus, hin zu Anas eigenem Lebensweg. Der ganze Roman wirkt dabei historisch hervorragend recherchiert und trotzdem neuartig. Über die in Alexandria tätigen Therapeute hatte ich beispielsweise noch nie etwas gehört.

Sue Monk Kidd erzählt gewandt, mitreißend und sprachlich bildgewaltig. Am Ende des Romans war ich nicht nur tief bewegt. Ich hatte auch das Gefühl, ja, genau so könnte es gewesen sein.
Dies war mein erster Roman der Autorin, wird aber keinesfalls der letzte gewesen sein.