Rezension

Lesen über die Liebe zwischen zwei Polen

Der Pole -

Der Pole
von J.M. Coetzee

Affäre zwischen einer Dame der Gesellschaft aus Barcelona und einem alternden polnischen Klaviervirtuosen. Während er von unsterblicher Liebe faselt, reagiert sie unterkühlt. Und immer mit dabei: Chopin und Dante. Für wen: Himmel-und-Hölle-Hüpfer.

J.M. Coetzees Roman Der Pole beginnt mit dem Satz: Zuerst bereitet die Frau ihm Schwierigkeiten und bald darauf auch der Mann. Mit «ihm» ist hier der Autor selber gemeint. Seine Mühe mit den eigenen Figuren hätte sich Coetzee besser mal zu Herzen genommen, denn nun habe ich als Lesende die Bescherung. Vor mir liegt eine meisterlich geschriebene und in kurzen Kapiteln aufgebaute Geschichte einer Affäre, in welcher mich die Figuren und ihr Handeln alles andere als überzeugen.

Die Frau ist eine etwas kühle Dame der Barceloner Gesellschaft (Beatriz) in bestem Alter, der Mann (Witold) ein alternder Chopin-Interpret polnischer Abstammung. Die beiden treffen sich anlässlich eines Konzertes in Barcelona. Bei einem anschliessenden Essen, das sich vor allem durch nichtssagende Gespräche auszeichnet, verliebt sich offenbar der Pianist in die Dame. Diese weist ihn vorerst zurück, folgt ihm dann aber dennoch zu einem Treffen in einer Nachbarstadt. Weshalb sie dies tut, bleibt unklar: Weder findet sie ihn als Mann noch als Klavierspieler attraktiv. Später legt sie sich dann doch noch mit ihrem hartnäckigen Verehrer ins Bett, nur um ihn anschliessend definitiv zu verabschieden. Als ein paar Jahre der Pianist stirbt, erbt sie von ihm einen Gedichtzyklus im Stile Dantes, in welchem er sie als seine Beatrice hochleben lässt. 

Zu den beiden Hauptdarstellern dieser Story: Weshalb lässt eine wohlsituierte, schöne Frau einen Mann in ihr Bett, vor dem sie sich eigentlich ekelt, dessen Allüren sie belächelt und mit dessen Chopin-Interpretationen sie nicht anfangen kann, ja mit dem sie sich noch nicht einmal richtig verständigen kann, wenn sie doch mit einem attraktiven, jüngeren Verehrer ein Techtelmechtel haben könnte? Mitleid? Langeweile? Der Wunsch, bewundert zu werden? Alles dies könnte sein, hat mir aber zu wenig Fleisch am Knochen. 

Weshalb verfällt ein einst erfolgreicher Pianist auf die Idee, er sei sowas wie ein Dante, der in Barcelona seine Beatrice gefunden hat? Und dies nach einem Abend, der sich durch nichts hervorhebt von tausend anderen Abenden in tausend anderen Städten mit tausend anderen Konzertorganisatorinnen. Der Wunsch, noch einmal als Verehrer zu reüssieren, doch noch unsterblich zu werden, nachdem man als Chopin-Interpret von Jüngeren abgelöst wurde? Schwierig, schwierig …

In diesem Buch ist man besser beraten, die Handlungsebene nicht zu genau analysieren zu wollen. Das eigentlich Lesenswerte findet sich zwischen den Zeilen, dann beispielsweise, wenn sich Beatriz Gedanken dazu macht, was es heisst, einen Mann zu mögen. Um die feinen Unterschiede zwischen diesem Mögen und der Liebe. Oder handelt es sich um Mitleid? In diesem Buch geht es aber auch um Sprache: Wie teilen wir uns dem anderen verständlich mit und gelingt Verstehen überhaupt, wenn zwei sich in einer Fremdsprache unterhalten?

Titel: Der Pole, Roman, 144 Seiten, gebunden

Autor/Autorin: J. M. Coetzee, aus dem Englischen von Reinhild Böhnke

Verlag:  Fischer, 2022 

ISBN 978-3-10-397501-7, SFr. 24.-/ 20.– €