Rezension

Lesenswert

Seit er sein Leben mit einem Tier teilt -

Seit er sein Leben mit einem Tier teilt
von Bodo Kirchhoff

Bewertet mit 1 Sternen

Metaphorisch und dicht

Vorab: Ich vergebe 4 Sterne (nicht einen) - doch das konnte ich in der nachträglichen Bearbeitung nicht mehr ändern. Sorry.

'Seit er sein Leben mit einem Tier teilt' war eine Empfehlung in DER ZEIT. Ausschlaggebend für die Lektüre waren sicher ein Interesse für Themen wie Alter, spätes Leben, Tod, Eremitendasein, Einsamkeit, Schicksal und Zufall und menschliche Beziehungen im allgemeinen.

Das Cover gefällt, entstammt es dem real life und passt perfekt zum Inhalt und Schauplatz, Kirchhoff ist ein own voice - Autor, was das räumliche Ambiente und die beschriebene Lebensphase betrifft, beim Erscheinen des Romans ist er 79 Jahre alt. Er lebt am Gardasee und gibt dort – herrlich! – im Sommer Schreibseminare mit seiner Frau.

Schongauer, fast 75, der Roman reicht bis zu seinem 75.sten Geburtstag am Ferragosto (15. August), lebt mit seiner Hündin Ascha oberhalb des Gardasees. 5 Jahre nach dem Unfalltod seiner Frau Magda(lena) beabsichtigt er, sich aus der Zeit und der Erinnerung stehlen (10), aus Zeiten, die er eigentlich vergessen will (101). Er hat schon genug 'Erinnerungen am Hals' (15, Ballast). Die Hündin ist nach Magdas Tod die Welt für ihn geworden, so wie Herrchen die ihrige ist (216). Seit der Protagonist mit dem Tier lebt, geht es ihm gut (290). Es ist gewöhnungsbedürftig, dass Schongauer den Hund oft mit dem reinen Gattungsnamen, als Tier, erwähnt, ggf. im Kontrast zum 'Menschen'; ein Tier ist frei von Zeit und Erinnerung, lebt im Hier und Jetzt, folgt seinen Instinkten (Intuition?) und liebt bedingungslos, zudem war Magda auf Tier-Fotografie spezialisiert. Das Schicksal sendet Schongauer die 24jährige Reisebloggerin Frida in ihrem Wohnmobil, die zum Prüfstein seines eigenen Lebens wird (236) und der er das wichtigste mitgibt, das er hat. Der Besuch weckt den Eremiten, er ist so wach wie seit Jahren nicht mehr, auch im übertragenen Sinne (25). Die zweite Dame im Bunde ist Almut Stein, eine freiberufliche Redakteurin, die Schongauer interviewt, um über ihn zu schreiben. Almut gefällt Schongauer, 'mit ihr könnte er irgendwie sein'(224), sie gefallen einander. Das soll an dieser Stelle zum Inhalt genügen.

Der Roman ist auf 384 Seiten sehr dicht, nicht hinsichtlich der Ereignisse, sondern in Bezug auf vorgetragene Gedanken, Beschreibungen und stattfindende Dialoge.

Sprachlich ist die Erzählung sehr ansprechend, Kirchhoff ist ein Könner, er versteht seine Handwerk, wäre aber auch merkwürdig, wenn nicht, der, der im wirklichen Leben Schreibkurse gibt, allein die Vielfalt in der Abwechslung des Ausdrucks: So bezeichnet Schongauer Frida, je nachdem, als 'befristete', 'vorläufige' oder 'halbe' Mitbewohnerin, auch springt er auf den Zug der linguistischen/social Media- Modernitäten auf, wenn er von 'Atmo' (Atmosphäre) spricht. Es ist bereits bedeutsam metaphorisch, dass alle sich verfahren, die den Protagonisten aufsuchen, den kaum Auffindbaren, in seinem eigenen Leben Verschanzten. Es lassen sich wunderschöne Formulierungen finden, wie z.B. 'Ist der Schlaf noch poröser als die Haut seiner Hände' (80) und treffend gesetzte Metaphern 'Er sieht das Boot vom Kurs abkommen, aber er greift nicht ins Steuer' (118). Beim Lesen bekomme ich durchaus Lust, einmal Teil dieser temporären Wohngemeinschaft zu sein, die richtigen Menschen tun einfach gut, auch Eremiten und vom Leben Gezeichneten. Das Ende ist offen, alles ist denkbar und möglich, es kommt darauf an, was wir daraus machen, aus dem Leben, aus jedem Tag, aus dem Drehbuch, das das Schicksal schreibt – ankommen, bleiben oder gehen.

Zwei, drei Dinge stören mich inhaltlicher Art, aber die sollen hier nicht weiter der Rede wert sein. Mit der Gesamtbeurteilung tue ich mich etwas schwer. Würde ich den Roman rein sprachlich beurteilen, wäre die Sache eindeutig. Aber keine Sprache ohne Inhalt. Aus meiner Sicht hätte man den Roman etwas straffen können, inhaltlich, und der Gegenwart ein wenig mehr Raum geben, als sie tatsächlich hat. Leben im Hier und Jetzt. Daher ein kleiner Abzug meinerseits in der B-Note.