Rezension

Lesenswerte Einblicke in ein deutsch-muslimisches Leben

Die Sache mit der Bratwurst - Lamya Kaddor

Die Sache mit der Bratwurst
von Lamya Kaddor

Bewertet mit 5 Sternen

Durch diese Autobiografie wird wieder sehr deutlich, wie einfach es sein könnte, wenn Menschen anderen Menschen gegenüber mehr Toleranz, Freundlichkeit und Vertrauen schenken würden.

Die Autorin berichtet von der Ankuft ihrer Eltern in Deutschland 1975/1976 und wie sie es geschafft haben ihre Kultur, ihre Denke und ihre Erwartungen unter einen Hut zu bringen. Es ging ihnen wie allen anderen Gastarbeitern. Sie waren Ausländer und von vielen Einheimischen lediglich als Gäste angesehen, die irgendwann wieder gehen werden. Das dachten sie auch bis dann das erste Kind geboren wurde, das nun alleine schon durch die Geburt in Deutschland etwas weniger syrisch war als sie selbst. Nun musste man sich von dem Gedanken verabschieden, in Deutschland lediglich für ein paar Jahre zu bleiben. Deutsch war plötzlich Muttersprache, die Kinder gingen in die Schule und das deutsche Leben musste irgendwie integriert werden. Das war gar nicht immer so einfach, da Deutschland damals auf muslimische Gepflogenheiten nicht eingestellt war, wie wir es heute so kennen und so verspeiste die kleine Lamya damals eine Bratwurst auf dem Kindergartenfest, das so eigentlich gar nicht geplant war.

In leichtem und lockeren Ton nimmt uns die Autorin in ihr Leben in Deutschland mit und zeigt uns auf, wie sie sich sieht und wie sie von anderen wahrgenommen werden will:

"Ich bin Deutsche mit syrischen Wurzeln und muslimischen Glaubens - im Einzelnen bedeutet das für mich, Mutter und Wissenschaftlerin, Frau und selbstbestimmt, liberal und gläubig, frei und denkend, humorvoll und menschlich zu sein." (eBook Pos. 66)

Und genau damit haben viele leider ein Problem. Beide Seiten, Deutsche wie auch Muslime, sprechen ihr oftmals ab, dass dies so möglich ist. Warum eigentlich? Wenn beide Seiten, Muslime wie auch Nicht-Muslime, sich nicht ausschließlich auf die Religion im Alltagsleben einschießen würden, könnte ein liberaler Moslem, ob deutscher Konvertit oder Deutscher mit Migrationshintergrund, in Frieden seinen Alltag leben und die Gemeinschaft durch kulturelle Unterschiede bereichern.

Ich sehe Lamya Kaddor als Bereicherung für beide Seite. Ihr Weg schließt niemanden aus, verhilft Jugendlichen ihre Identität zu finden und sich auch zwischen den Stühlen zurechtzufinden. Durch ihre Aktivitäten versucht sie Muslime und Deutschland zu verbinden und ich bewundere ihren Mut, ihre Tatkraft und auch das erneute Aufstehen nach Niederlagen und Rückschlägen.

Ich befürworte insbesondere den bekenntnisorientierten Religionsunterricht für Muslime in Deutschland. Dabei wird sich in deutscher Sprache, die ja Muttersprache für all die Kinder und Jugendliche ist (abgesehen von Flüchtlingen, die jetzt erst nach Deutschland gekommen sind), den Sorgen und Nöten gewidmet und versucht, diese jungen Menschen zu unterstützen. Oftmals ist das Elternhaus dazu nicht in der Lage, da sie kaum Antworten auf essentielle Fragen haben. Hier dürfen muslimische Kinder und Jugendliche nicht alleine gelassen werden. Sie müssen ihre Identität finden und darin bestärkt werden, dass man Deutsch sein / sich deutsch fühlen und gleichzeitig muslimischen Glaubens sein kann, denn

"Religion kann wie Medizin wirken. Falsch dosiert bewirkt sie das Gegenteil." (eBook Pos. 1152)

Sehr bewundernswert finde ich ihr permanentes Einstehen für Gemeinsamkeit und Diversität, das sie tatsächlich mit ihrer Familie vorlebt. Ihre Kinder hatten muslimische Tageseltern, gingen in einen jüdischen Kindergarten und heutzutage besuchen sie den christlichen Religionsunterricht.

"Jedem Menschen ist das Fundament für Toleranz in die Wiege gelegt. Im Kindesalter können wir darauf den Grundstein für ein Haus der Vielfalt bauen. Wer den Wert der Vielfalt erst erkannt hat, will ihn niemals wieder missen." (eBook Pos. 2652)

Das sind für mich die wichtigsten Sätze und Lebensweisheiten, nach denen wir uns orientieren sollten. Dann wird einem gemeinsamen Leben nichts mehr im Wege stehen.

Fazit:
Ich bin durch das Buch geflogen! Es erinnert mich an die Kindheit, die Probleme und Schwierigkeiten von allen Gastarbeiterkindern. Nur, dass hier der andere, der muslimische Glaube alles nochmals etwas schwieriger macht. Die weltpolitische Zerrüttung dieser Tage verschärft vieles zudem. Ich bin der gleiche Jahrgang wie die Autorin und erinnere mich sehr genau an solche wie im Buch beschriebene Situationen.
Lamya Kaddor hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben, das manchen Menschen die Augen öffnen könnte. Ich wünsche mir, dass dieses Buch viele Leser findet und wir in Deutschland ein neues Aufeinanderzugehen beginnen, mit mehr Verständnis, Akzeptanz, Freude über die Vielfalt und Freiheit, die wir in diesem Land eigentlich genießen und weiterhin schätzen sollten. Ich schließe mit einem weiteren Zitat, das sich alle durch den Kopf gehen lassen sollten:

"Als Araber ist man nicht automatisch Muslim und als Muslim nicht automatisch Terrorist, als Muslimin ist man nicht zwangsläufig eine unmündige Frau, so wie man als Europäer nicht automatisch christlichen Glaubens und als Christ nicht automatisch Friedensstifter oder als Christin automatisch eine mündige Frau ist." (eBook Pos. 3084)