Rezension

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Lesenswerter und nachdenklich stimmender Blick in die Kölner Nachkriegsjahre...

Antonias Tochter - Nora Elias

Antonias Tochter
von Nora Elias

Bewertet mit 4.5 Sternen

Antonia von Brelow, aus einem ostpreußischen Gut stammend, kehrt mit ihrer Tochter Marie, noch im Kleinstkindalter,  ins Haus der von Brelows zurück, das den Krieg wie durch ein Wunder überstanden hat und bewohnbar ist. Ihr Mann Friedrich wird vermisst, aber ihr SchwagerRichard, dessen Bruder, hat sich ebenfalls in der alten Villa niedergelassen; nun müssen sich beide arrangieren...
Um Marie und sich selbst über diese entbehrungsreichen Zeiten zu bringen, entschließt sich Antonia, Zimmer unterzuvermieten. Und so bildet sich nach und nach eine Hausgemeinschaft: 
Katharina (aus ostpreußischem Adel stammend und als Krankenschwester in Köln arbeitend); Elisabeth (von einem Bauernhof stammend und Tänzerin mit einem Faible für Nigel, einem britischen Soldaten, der ihr Zimmer finanziert, dafür aber gewisse "Gegenleistungen" fordert) und Dr. Georg Rathenau, Arzt und ebenfalls auf der Suche nach einer Bleibe...

Im Romanverlauf lernt man die verschiedenen Charaktere immer besser kennen; freut sich, dass die Frauen sich gut verstehen und mehr und mehr zu Freundinnen werden - hat jedoch das untrügliche Gefühl, dass jeder der Protagonisten etwas zu verbergen hat - oder durch Kriegserlebnisse traumatisiert ist. Die Figuren sind sehr facettenreich beschrieben und man kann deren Handlungen sehr gut nachvollziehen; dem Leser wird eine Zeit vor Augen geführt, in der Hunger und Kälte ständige Begleiter von Menschen waren, die den Krieg überlebten - und nun durch Rationierungen von Lebensmitteln (Karten) und Heizmaterial weiterhin ein karges, fast unmenschliches Leben führen mussten und nicht jeder diese Zeit überlebte. So mancher wurde dazu verleitet, Diebstahl und Einbrüche zu begehen, um nicht zu verhungern; selbst die Lebensmittelkarten standen auf der Liste von (hungernden) Trickbetrügern, die zuweilen in Gestalt eines Kindes sein Opfer überrannten...

Während Katharina und Georg sich den zahlreichen Kranken in der Klinik widmen, näht Antonia aus alten Vorhängen Wintermäntel oder strickt Kinderkleidung, um ein Zubrot zu verdienen, das Marie und sie vor dem Verhungern rettet. Elisabeth arbeitet als Trümmerfrau, da es dort wenigstens eine heiße Suppe gibt. Sie sucht nach einem Weg, finanziell unabhängig zu sein, auf den elterlichen Hof wird sie niemals zurückkehren... Diese Versuche, unabhängig zu sein, ließen mich große Sympathie für Elisabeth empfinden, ebenso wie zu Katharina Falkenburg, die das "von" lieber aus ihrem Namen streicht und der jeglicher Standesdünkel aus Vorkriegszeiten fremd ist und zu Antonia, die unter schwierigen Umständen das beste aus der Situation macht. 

Der Autorin gelingt es, die Sorgen und Ängste besonders der Frauen, die auf die Rückkehr ihrer Männer warten - oder zuweilen noch schlimmer - die Traumatisierungen ihrer Männer miterleben, die ihnen diese fremd erscheinen lassen und eine Rückkehr zu einem "normalen" Leben wie vor dem Krieg unmöglich machen, zu beschreiben. Auch der Nahrungsmangel, der auch auf die Besatzungszonen und damit einhergehender Verwaltungs- und Logistikprobleme  zurückzuführen ist, steht sehr eindringlich im Vordergrund des Romans. Eine Art "Überlebenskünstler" ist hier Richard, der jedoch rigide mit Geschäftskontrahenten umgeht und die Hausgemeinschaft nicht von seinen recht erfolgreichen Aktivitäten im Schwarzmarkthandel in Form von Naturalien - wenigstens ab und zu - profitieren lässt. Dennoch hatte ich auch für diese Figur gewisse Sympathien, da er doch zur Stelle war, wenn es darauf ankam. 

Zu den ständigen Begleitern des Hungers und der Kälte gesellen sich bei fast allen Protagonisten auch fragile Gefühlswelten, die in und durch die Kriegsjahre sehr durcheinandergerüttelt wurden und besonders bei Antonia, in direktem Zusammenhang mit der Flucht aus Königsberg zu stehen scheinen....
In einem Rückblick am Romanende wird die Zeit des letzten Kriegsjahres und der Einmarsch der Roten Armee in deutsche Gebiete (Oktober 1944), der mit dem Tode tausender flüchtender Menschen aus Ostpreußen, Vergewaltigungen und Angriffen auf die Flüchtlingstrecks endeten, in der Erfahrung Antonias geschildert; die Todesangst und Panik ist allzu vorstellbar, wenn man sich den Hass der russischen Soldaten vorstellt, die zuvor ebenfalls diese Grausamkeiten des Krieges von Seiten der deutschen Wehrmacht erlitten hatten. Hier geht es Nora Elias darum, nachvollziehbar aufzuzeigen, dass ein Mensch in Panik und Todesangst anders handelt als er es unter normalen Umständen getan hätte, was für mich auch die stärkste Aussagekraft dieses Romans darstellt.

Fazit:

Ein Roman, der den Leser auf spannende Weise in die Stadt  Köln der Jahre 1945 bis Sommer 1947 entführt, in eine zerbombte Stadt voller Ruinen und zu einer Hausgemeinschaft, die diese harten Nachkriegsjahre in gegenseitiger Freundschaft überlebten, sich Halt gaben und füreinander einstanden - auch über Klassenunterschiede hinweg, die nach dem Krieg noch eine größere Rolle spielten als heute. Ein beeindruckender, teils auch bedrückender und sehr nachdenklich stimmender Nachkriegsroman, der auf jeden Fall - besonders für historisch interessierte Leser - eine Leseempfehlung  und 4,5 *von mir erhält!