Rezension

Lesenswertes, zum Nachdenken anregendes Buch zur Flüchtlingsproblematik

Gehen, ging, gegangen
von Jenny Erpenbeck

Bewertet mit 5 Sternen

Wir nehmen an den Gedankengängen Richards teil, ein Professor alter Sprachen im Ruhestand, Witwer, der alleine in einem schönen Haus an einem See lebt, in Berlin. Er ist noch nicht ganz sicher, was er mit der vielen Zeit anfangen soll, er hält Haus und Garten in Ordnung und wir nehmen an seinem Alltag und seinen Gedanken teil. Das spiegelt sich im einfachen, nüchternen Schreibstil wider, auch in den Wiederholungen. So ist es eben, wenn man denkt.

Und dann schleicht sich leise und unmerklich die Flüchtlingsproblematik in das Leben dieses saturierten Wohlstandsbürgers, der die Flüchtlinge im Hungerstreik auf dem Potsdamer Platz zuerst gar nicht bemerkt hat. Er will mehr wissen und geht das in üblicher wissenschaftlicher Manier an. Er erstellt einen Fragenkatalog und begibt sich in ein Flüchtlingsheim, wo er einige Männer befragen darf. Richard will mehr wissen, vertieft sich in Rechtliches und erforscht, wo diese Männer herkommen. Es bleibt nicht aus, dass er eine menschliche, freundschaftliche Bindung zu ihnen aufbaut und ihnen hilft, wo er nur kann.

Der Leser erfährt nicht nur, wie schrecklich sich die Bürokratie auswirkt, sondern das gleiche wie ich auch gerade: Jeder Flüchtling ist ein Mensch für sich, ein Einzelschicksal, jeder hat seine Geschichte.

Wie oft muss wohl einer das, was er weiß, noch einmal lernen, wieder und wieder entdecken, wie viele Verkleidungen abreißen, bis er die Dinge wirklich versteht bis auf die Knochen? (S. 154)