Rezension

Leserpreis 2018 Bedrückend, düster und eine unheimliche Warnung - Sehr empfehlenswert! ​

The Handmaid's Tale - Margaret Atwood

The Handmaid's Tale
von Margaret Atwood

Bewertet mit 4 Sternen

Der Kontext

In „The Handmaid’s Tale“ (dt. „Der Report der Magd“) entwickelt Margaret Atwood eine dystopische Zukunftvision, die kaum bedrückender sein könnte. Die Unterdrückung durch das streng religiöse Regime, das in der Republik Gilead (früher USA) herrscht, bezieht sich vor allem auf traditionelle Geschlechterrollen, ein heteronormatives Weltbild und systematische Fortpflanzung. Frauen wurden geehrt und geschätzt, da sie Kinder zur Welt bringen können, jedoch auch auf diese Rolle reduziert und unter dem Vorwand des Schutzes unterdrückt. Vergewaltigung steht unter Todesstrafe, ebenso jedoch die Vornahme von Abtreibungen, die Inanspruchnahme von Sexarbeit und Homosexualität.

In wohlhabenden Familien werden Frauen in verschiedene Rollen eingeteilt: Es gibt die Ehefrauen, Marthas (für den Haushalt zuständig) und Handmaids (dt. Mägde). Da in der Zukunft die Geburtenrate offenbar stark gesunken ist, werden die Handmaids eigens dafür ausgebildet, anstelle der Ehefrauen Kinder zu bekommen. Dafür werden sie gesund und fit gehalten und bekommen eine Unterkunft und Essen, werden aber auch regelmäßig in einer Zeremonie vom Ehemann, für den sie arbeiten, vergewaltigt. Gelingt es ihnen, ein gesundes Kind zur Welt zu bringen, wird es ihnen weggenommen und von dem Ehepaar aufgezogen, während sie zum nächsten Arbeitgeber weiterziehen. „Versagen“ sie jedoch zu häufig, droht die Abschiebung in die Kolonien, in denen man sich zu Tode schuftet.
Wahlrecht, das Recht zu arbeiten, eigenes Geld, über das sie verfügen, die Möglichkeit zu lesen - all das haben Frauen im Gilead nicht mehr.

Meine Meinung

Dieses bedrückende Szenario wirkt zum Teil in einer Zeit, in der die Frauenrechtsbewegung viel erreicht hat, etwas weit hergeholt, ist jedoch gleichzeitig die Basis einer Kritik an Teilen unserer aktuellen Gesellschaft, die man aus dem Roman herauslesen kann. Die Reduzierung der Frau auf eine Rolle in Haushalt und Familie, das Bedürfnis nach Kontrolle ihrer Fortpflanzung, das Verteufeln von Homosexualität und Prostitution - all das erinnert stark an die Ansichten extrem konservativer oder streng religiöser Menschen, wie es sie auch heute in Politik und Gesellschaft gibt. Auch dass der Schutz der Frauen als Vorwand genommen wird, um sie zu unterdrücken (z.B. über Kleidungsvorschriften), und ihnen die Schuld gegeben wird, wenn sie sexuell belästigt oder vergewaltigt werden oder wenn sie in ihrer Aufgabe als „Gebärmaschine“ „versagen“, kennt man leider bereits aus der Realität.

Häufig werden die Argumentationen von Personen zitiert, die vom neuen System überzeugt sind, beispielsweise „Tante Lydia“, die die Handmaids ausbildet. Diese sind einerseits unheimlich und abartig, weil sie ein für und unvorstellbares System rechtfertigen, andererseits aber auch verstörend, weil sie einer gewissen Logik folgen, wenn auch daraus furchtbare Schlüsse gezogen werden. Lydia argumentiert beispielsweise, dass man sich zwischen „Freiheiten von“ und „Freiheiten zu“ entscheiden müsse. In der vergangenen Zeit (unserer) habe man viele Freiheiten zu gehabt, nun habe man Freiheiten von, für die man dankbar sein müsse. Passagen wie diese bringen einen tatsächlich ins Grübeln und regen zum Nachdenken darüber an, was Freiheit ausmacht und ob die eine Art nicht immer die andere auch einschränkt.

Auf eindringliche und bedrückende Weise widmet Atwood sich in ihrem Roman den Mechanismen eines Regimes, das auf Kontrolle und Unterdrückung basiert, und den Auswirkungen, die dies auf die Menschen und ihre Psyche hat. Die Handmaids dürfen sich - angeblich zu ihrer eigenen Sicherheit - nur zu zweit bewegen. In einem System, in dem man sich nie sicher sein kann, wer davon überzeugt ist und wer heimlich kritische Gedanken hegt, ist dies auch eine effektive Kontrollmaßnahme um zu verhindern, dass Personen sich gegen das System zusammenschließen - ein wenig erinnert es auch an Zeiten der Gestapo oder das Stasi. Im Roman wird dies anschaulich an Protagonistin Offred (dt. Desfred) und ihrer Begleiterin gezeigt, die einander lange Zeit kennen, ohne zu wissen, ob die jeweils andere eine „wahre Gläubige“ ist oder einfach nur schweigt und ihr Schicksal erträgt.

Spannend sind auch die kurzen Einblicke, die man in die Übergangsphase zum aktuellen System erhält, in der sich die Machtverhältnisse zwischen Frauen und Männern langsam aufgrund der neuen Gesetze verschoben haben. Wie dies auch Beziehungen wie glückliche Ehen verändern kann, wird leider nur durch Flashbacks von Offred angedeutet.

Geschrieben ist der Roman aus der Perspektive der Handmaid Offred, deren Name sich, wie die aller Handmaids, aus der Vorsilbe „of“ (in diesem Kontext „von“) und dem Namen ihres „Besitzers“ (Fred) zusammensetzt. Wir folgen für einige Zeit ihrem Alltag, ihrer Aufgabe als Handmaid, ihrem begrenzten Kontakt zu ihren Mitmenschen, ihren nächtlichen Gedanken und einigen Erinnerungen an ihre Vergangenheit, meist Szenen aus ihrer ehemaligen Familie oder ihrer Zeit in der Ausbildung zur Handmaid.

Anfangs verwirrte mich Offreds Erzählweise, da man ohne große Erklärungen mitten in das System von Gilead hineingeworfen wird und sie selten etwas darüber erklärt. Die vielen Regeln und Gesetze lernt man nur dadurch kennen, dass Offred ihre Auswirkungen auf ihren Alltag oder den anderer beschreibt.
Der Roman ist eher ruhig, da Offred einen ruhigen Alltag hat und nicht viel tun darf außer essen, spazieren gehen und ihre Aufgabe als Handmaid erfüllen. Häufig beschreibt sie Räume, in denen sie sich aufhält, Personen und ihren eigenen aktuellen Gemütszustand sehr ausführlich.

Im Gegensatz zu bekannten modernen Dystopien wie „Die Tribute von Panem“ ist „The Handmaid‘s Tale“ auch keine Geschichte einer rebellischen Hauptfigur, die sich gegen das System auflehnt, seine Schwachpunkte auslotet und es schließlich zu Fall bringt, weshalb man keine große Action und auch nicht unending ein vollends befriedigendes Ende erwarten sollte.
Dennoch empfand ich den Roman als sehr spannend, da man beim Lesen nach und nach die Details über Gilead und die dahinterstehende Argumentation lernt, und mich die bedrückende Atmosphäre sehr mitgenommen hat.

Fazit

„The Handmaid‘s Tale“ ist ein ruhiger, aber sehr intensiver und bedrückender Roman, der zum Nachdenken anregt über die Mechanismen unterdrückerischer politischer Systeme und die gefährlichen Denkweisen, die hinter Frauenfeindlichkeit und streng durchgesetzten Geschlechterrollen stecken.