Rezension

L'Étoile Manquante...

Der Blumenladen der Mademoiselle Violeta - Máxim Huerta

Der Blumenladen der Mademoiselle Violeta
von Màxim Huerta

Bewertet mit 2.5 Sternen

L’Étoile Manquante – ein zauberhafter Blumenladen im Herzen von Saint-Germain – ist der Lieblingsort von Mercedes und Tilde, zwei Spanierinnen, die seit mehr als vierzig Jahren in Paris leben und doch sehr einsam sind. Mercedes wurde für eine Kellnerin von ihrem Mann verlassen, nachdem sie die französische Grenze überquert hatten, und Tilde hat nie den Richtigen gefunden. Noch einsamer als die beiden befreundeten Damen ist nur noch Dominique Brulé, der sympathische, leicht vergessliche Besitzer des charmanten kleinen Ladens. Da gibt es eine Sache, über die er nie gesprochen hat. Er ist vierundsiebzig Jahre alt, sein Sternzeichen ist Wassermann, Pfingstrosen sind nicht ohne Grund seine Lieblingsblumen, und an dem Tag, als er das Geschäft eröffnete, hätte er sich am liebsten dort verkrochen, um zu sterben. Der Sommer neigt sich seinem Ende zu, da fegt ein Wirbelsturm durch ihrer aller Leben – in Gestalt der jungen Violeta, die auf der Flucht vor einer Liebe, die sie vergessen will, Monsieur Dominiques kleines Paradies entdeckt und sich dort als Aushilfe bewirbt …

Vier Schicksale verweben sich in diesem Roman des spanischen Schriftstellers Máxim Huerta. Der alte Besitzer eines zauberhaften Blumenlades in Paris findet es an der Zeit, nach einer Unterstützung zu suchen, wobei er es begrüßen würde, wenn die Aushilfe selbst einen Blumennamen trüge. Zufällig erblickt die junge Violeta diese Anzeige und ist sehr froh über diese Gelegenheit. Schließlich ist sie gerade erst aus Madrid geflohen - fort von ihrem lieblosen Elternhaus und dem Liebhaber, der sie verlassen hat.

Durch Violetas Tätigkeit in dem Blumenladen geraten allmählich alte Gefüge ins Wanken. Dominique, der seit seiner Jugend seiner alten und einzigen Liebe nachtrauert, verändert sein Denken allmählich, und auch zwei Stammkundinnen - Tilde und Mercedes, beide jenseits der Siebzig - sind von den neuen Strömungen betroffen. Dabei hat Violeta mehr als genug mit sich selbst zu tun, denn die Probleme und Ängste wollen nicht abreißen. Und doch kommen lang gehütete Geheimnisse der betagten Charaktere ans Licht, finden Begegnungen mit der Vergangenheit statt, wie sie zuvor nicht möglich waren, und verändern sich alteingefahrene Verhaltensmuster.

Und ich werde jetzt nicht den üblichen Satz sagen, dass die Zeit alle Wunden heilt, da das nicht immer stimmt. Nicht alle Wunden verheilen. Wir alle haben unsere Narben. Manche erinnern uns daran, dass wir etwas nicht noch einmal tun sollen, und andere bestätigen, dass wir das Richtige getan haben, dass es sich gelohnt hat, verletzt zu werden. Zu bluten. In jedem Fall traue ich Menschen nicht, die keine Narben haben... (S. 197)

Der Blick der Erzählung richtet sich wechselweise auf die verschiedenen Charaktere, springt dabei auch häufig in den Zeitebenen, teilweis in nur kurzen Einschüben und nicht konkret bezeichnet, in aus dem Zusammenhang gerissenen, wie hingeworfenen Szenen, was es mir vor allem zu Beginn nicht leicht machte, der Geschichte zu folgen. Später legte sich die Verwirrung, da ich dann auch diese Abschnitte durch zunehmenden Informationsgewinn besser einordnen konnte.

In der ersten Hälfte des Romans war ich neugierig auf die Figuren, wollte wissen, welche Erfahrungen sie geprägt haben, wie sie zueinander stehen, welche Geheimnisse sie hüten - und wie sie sich durch Violetas Ankunft verändern würden. Natürlich hat auch die junge Frau ihr Päckchen zu tragen, aber sie steht für die Gegenwart und Zukunft, denn für sie geht das Leben weiter. Dominique, Mercedes und Tilde dagegen sind Gestrandete des Lebens, ihnen bleibt nicht mehr viel Zeit, und manche alten Wunden gehen tief.

... doch die Zeit verrinnt, wird vergeudet, wird aufgebraucht. Und niemand warnt einen davor. Dabei ist man doch von Kind an gewohnt, alte Leute auf der Straße zu sehen. Aber in gewisser Weise sind sie unsichtbar, oder man glaubt, dass sie schon so geboren wurden. Was nicht stimmt, denn jeder war mal ein Kind. (S. 212)

Was mir gefallen hat an dem Roman, war der oftmals blumig-poetische Schreibstil, schöne Gedankengebilde, die ich mir als erinnernswert notiert habe, die Idee, das am Ende des Lebens das eigene Dasein durch eine unerwartete Begegnung noch einmal eine Wendung erfährt, die einen womöglich mit alten Verletzungen versöhnt. Was mir im Verlauf der Lektüre allerdings zunehmend missfiel, war das Verharren der Melancholie, die sich wie ein roter Faden durch den Roman zieht und die sich mir immer schwerer auf die Schultern legte. Dadurch konnte mich die Erzählung letztlich nicht mehr wirklich erreichen, und auch die Charaktere blieben mir ungewollt fern.

Durch die Erinnerungen von Dominique und den beiden alten Stammkundinnen wird hier vor allem das Paris einer längst vergangenen Zeit heraufbeschworen. Alte Filme, Schauspieler, Sänger und Chansons werden an vielen Stellen erwähnt, und tatsächlich mag ich viele der Lieder gern. So ließ ich einzelne Chansons beim Lesen im Hintergrund laufen, was die geschilderte Stimmung der Erzählung verstärkte. Aber das Verharren in der Vergangenheit, das wiederholte resignative Erkennen, dass das Leben einfach vergeht, ob man das jetzt will oder nicht, hat mir dann zunehmend missfallen.

In dem Dankeswort am Ende schimmert durch, dass der Autor wohl  selbst einen schweren Verlust erlitten hat - und das ist für mich das zentrale und immerwährendes Thema hier in dem Roman, für das es letztlich keinen wirklichen Trost gibt. Jeder bedeutsame Charakter in der Erzählung hat mit seinen ureigenen Verlusten zu kämpfen, mit dem, was das Leben ihm eben nicht zu bieten hatte, mit dem Feststecken in der Vergangenheit, mit dem Bedauern verpasster Gelegenheiten. In der Summe war mir das  leider einfach zu viel.

Ich finde es sehr schade, dass mir der Roman nicht mehr zugesagt hat. Gerade weil ich vermute, dass der Autor hier viel Persönliches mit eingewebt hat, finde ich das um so bedauerlicher... Aber möge sich jeder selbst ein Bild machen.
 

© Parden