Rezension

Liebe, Familiendrama, Zeitgeschichte – in bildhafter Sprache

Was Nina wusste - David Grossman

Was Nina wusste
von David Grossman

Bewertet mit 4 Sternen

Große Liebe, familiäre Tragödie - auf dem Hintergrund der Tito-/Stalin-Zeit, in opulenter Sprache, vielleicht etwas zu dramatisch

Von Israel in der Gegenwart zurück in der Geschichte nach Kroatien, auf Titos Gulag, die Gefängnisinsel Goli Otok

Der 90-jährige Geburtstag einer Matriarchin – man kann sie ruhig so nennen - wird im Kibbuz gefeiert, fröhlich, mit Reden, doch schon früh legt sich ein Schatten über die vermeintlich so einvernehmliche Familienfeier und der Leser wird in zeitlichen Sprüngen zwischen Gegenwart und Vergangenheit hin- und hergeworfen.

Diese begann für Vera, die rüstige, moderne, vitale alte Dame, im damaligen Jugoslawien, heute Kroatien, ihrem Geburtsland, wo sie ihre große Liebe, den serbischen Offizier Miloš heiratete.

Schnell wird für den Leser ersichtlich, dass es zwischen den Frauen aus drei Generationen – Großmutter Vera, Tochter Nina und Enkelin Gili – schwerwiegende Spannungen, wenn nicht gar traumatische Verwicklungen gibt. Was ist in der Vergangenheit geschehen, das noch heute seine Nachwirkungen im Leben dieser drei Frauen zeigt? Was weiß Nina? So der Titel. Mit dieser Frage hält der Autor den Leser in großer Spannung, besonders, als die Enkelin Gili und ihr Vater Rafi beschließen, einen Film über Veras Erlebnisse zu drehen. Dazu müssen sie zurück in die Vergangenheit reisen, nach Kroatien: nach Zagreb, in Veras Geburtsort und auf Titos Gefangenen- und Folterinsel Goli Otok.

'Alles, was bei ihr (Nina) scheiße läuft, das alles kommt von diesem einen Ort' (260) - 'und wenn sie es erfährt, wird sie nicht mehr leben wollen.'

Es ist ein interessanter erzählerischer Kniff des Autoren Grossman, die Geschichte teilweise aus der Sicht von Gili zu erzählen, die als Scriptgirl fungiert und auch scheinbar nebensächliche Eindrücke festhält, die aber für den Leser ein Gesamtbild ergeben. Es ergeben sich tiefe Eindrücke in das Seelenleben dreier Frauen, die alle mit der Vergangenheit zu kämpfen haben. Hätten sie eher 'darüber' sprechen müssen? Werden sie es schaffen, wieder zueinander zu finden, ihre seelischen Wunden heilen zu lassen? Was genau ist überhaupt geschehen? Diese Frage hält der Autor lange offen, so dass der Spannungsbogen bis zum Ende kaum nachlässt.

Und noch lange danach hielt mich die Geschichte gefangen, habe ich mir Gedanken gemacht, was falsch gelaufen ist, wie ich mich entschieden hätte. Das wurde noch durch die Tatsache verstärkt, dass der Roman auf einer realen Person beruht, deren Erlebnisse hier in Romanform geschildert werden, der Jüdin Eva Panic-Nahir, die mit dem Autor David Grossman befreundet war.

Die Sprache empfinde ich als unverbraucht-bildhaft:

Vera dreht 'den Fakten den Arm rum, bis sie gestehen. (93) - das Verdrehen der Seelengedärme (146)

Was mir weniger gefallen hat: eine leichte Überdramatisierung, die dazu geführt hat, dass mir einige Verhaltensweisen unglaubwürdig erschienen. Wenn ich auch deshalb nur 4 Sterne vergebe, so ist es dennoch ein empfehlenswerter Roman und ich werde sicher noch weitere von David Grossman lesen.