Rezension

Liebe mal drei - oder auch: Lempi aus drei Blickwinkeln

Lempi, das heißt Liebe
von Minna Rytisalo

Bewertet mit 5 Sternen

Die umwerfende, alles überstrahlende Liebe, die gerade, wenn sie nur von kurzer Dauer war, auf ewig einen Schatten wirft. 
Eifersüchtiger Hass, der durch vergebliche Liebe hervorgerufen wird und blind macht.
Schwesternliebe, die gerade bei Zwillingen einen mystischen Faden webt, den andere nicht nachvollziehen können.
Verschenkte Liebe, die vergeblich war und einen für den Rest seines Lebens ernüchtert und ohne Träume zurücklässt. 

All' diese Ausprägungen des stärksten Gefühls der Welt bringt uns die finnische Autorin Minna Rytisalo in ihrem Debütroman 'Lempi, das heißt Liebe' nahe. Lempi, der finnische Begriff für Liebe, ist im Buch der Name der abwesenden Hauptfigur. Lempi, die Tochter eines wohlhabenden Kaufmannes, heiratet 1943 den armen Bauern Viljami. Sie zieht zu ihm auf den Hof, zusammen mit der Magd Elli, die ihr die ungewohnte Arbeit erleichtern soll, und verlebt einen romantischen, unbeschwerten Sommer mit ihm. Aber dann wird Viljami doch noch eingezogen und erfährt schließlich aus Briefen der Magd, dass Lempi nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes verschwunden sei - mit einem deutschen Offizier? Möglich. Auch ihre Zwillingsschwester Sisko ging diesen Weg und folgte einem deutschen Offizier nach, den sie liebte. Doch für Sisko hielt der Weg der Liebe nur Enttäuschungen bereit.

Viljami, Elli und Sisko - alle drei berichten größtenteils in Erinnerungen über ihre Zeit mit Lempi bzw. die Geschehnisse nach dem Krieg. Viljami kann es kaum über sich bringen, die letzten Meter zu seinem Hof zurückzulegen, wo die Magd Elli mit seinem Sohn und dem Adoptivkind, das er und Lempi aufgenommen hatten, auf ihn wartet. Er ist äußerlich unversehrt aus dem Krieg heimgekehrt, doch wird er von Lempis Verlust geradezu gelähmt.
Auf dem Hof wartet Elli, die den Jungen nach Lempis Verschwinden eine Mutter war und die hofft, Viljami nun, nachdem die verhasste Konkurrentin fort ist, ein zweites Heim geben zu können - und eine neue Frau zu sein. Sisko schließlich eröffnet, wie es zur Liebe zwischen Lempi und Viljami kam und setzt im krassen Gegensatz dazu ihre eigene Geschichte.

Diese ist ein mir bisher unbekanntes Kapitel des zweites Weltkrieges. Finnland, 'Waffenbruder' Deutschlands im Krieg Russland, behandelte heimkehrende finnische Frauen, die im Krieg einen Deutschen geliebt hatten, mit Misstrauen, Missachtung und Ausgrenzung. Siskos Schicksal ist so einer von vielen 'Kollateralschäden' des Krieges, der in diesem Roman, gerade vor dem Hintergrund des Motivs Liebe besonders einfühlsam vermittelt, dass Liebe uns unerträgliche Schmerzen aufbürdet und uns trotzdem dazu bringt, immer weiter zu machen, selbst wenn wir nie das erreichen werden, was wir bei anderen beneiden und uns erhoffen. 

Lempis Schicksal, das, so kurz es auch war, die komplette Bandbreite menschlicher Gefühle in sich sammelt, wird in Minna Rytisalos Roman spannend und mit einem thrillerähnlichen schleichenden Grauen erzählt. Wer und wie Lempi wirklich war, kann der Leser am Ende nur vermuten. Klar ist, dass eine Person so viele Rollen spielen kann, wie sie Beziehungen pflegt - freiwillige und unfreiwillige. 

Nicht nur dank dieser umsichtigen Beobachtung und der Indirektheit in der sie meisterhaft vermittelt wird, sondern vor allem dank der durch und durch fühlbare 'Finnländischkeit' des Romans etwas erfrischend Neues für mich, auch wenn die Geschehnisse fast 75 Jahre in der Vergangenheit spielen.