Rezension

Liebenswerter Pionier des Morbiden

Der Knochenleser - Jefferson Bass

Der Knochenleser
von Jefferson Bass

Bewertet mit 4 Sternen

Nachdem mich die Mordspuren unseres einheimischen und "bekanntesten Kriminalbiologen der Welt" - Mark Benecke - doch ziemlich enttäuscht zurückließen, vertraute mir die von mir eine Freundin das Buch des Body Farm-Gründers Bill Bass an. Der Knochenleser sollte die Wunden heilen, die Herr Beneckes Werk bei mir hinterlassen hatte. Und tatsächlich! Bill Bass’ biographische Geschichten rehabilitierte meine Meinung über forensische Wissenschaftler.

Sehr anschaulich

In zwanzig Kapiteln beschreibt Bass sehr anschaulich und relativ unwissenschaftlich wie er sich zu einem der angesehensten und bekanntesten forensischen Anthropologen entwickelte. Er erzählt davon, wie er als Student die Gräber und -knochen amerikanischer Ureinwohner für das Smithsonian Institut katalogisierte. Wie er als junger Dozent als Sachverständiger Kriminalfälle für die Polizei untersuchte. Wie er sich Ärger mit seiner ersten Frau einhandelte, weil er auf ihrem Herd Leichenteile auskochte. Und natürlich davon, wie er die Body Farm ins Leben rief.

Anfang der 1970er-Jahre scheiterten Gerichtmediziner und Forensiker immer noch an der genauen Bestimmung des Todeszeitpunktes einer Leiche. Um diesen Missstand zu beheben und die Verwesung der Toten genau zu erforschen begann Bill Bass an der University of Tennessee 1971 mit seinem legendären Experiment. Er setzte menschliche Leichen Wind und Wetter aus und dokumentierte wie schnell und in welchen Schritten sie sich bei den verschiedenen Witterungen zersetzten und welche sonstigen Einflüsse, wie etwa Tiere, daran beteiligt waren. Die Body Farm war geboren. Und bis ins Jahr 2006 war dieses innovative Freiluft-Versuchslabor das einzige seiner Art, weltweit.

Futter für Krimiautoren

Bass beeindruckte mit seiner Forschungsarbeit nicht nur Kollegen, Studenten, Staatsanwälte und das FBI. Seine Arbeit inspirierte auch zahlreiche Schriftsteller und Drehbuchautoren. Als eine der ersten eindeckte Patricia Cornwell das inspirierende Potenzial der Farm und verschaffte dem Forschungsgelände und seinem Gründer unerwarteten Ruhm, als sie 1994 für ihren nächsten Roman nicht nur auf der Body Farm recherchierte, sondern ihr neues Buch sogar nach ihr benannte. Als langjährige Beobachterin und Begleiterin schrieb Cornwell auch das Vorwort zu "Der Knochenleser".

Ein liebenswerter Verwesungsexperte

Als Co-Autoren holte sich der Verwesungsexperte Jon Jefferson ins Boot. Der Journalist sorgte wahrscheinlich für die strukturierte Erzählweise und dafür, dass Der Knochenleser nicht in wissenschaftlichem Kauderwelsch erstickt. Im Gegenteil! Wiederholt überfiel mich das behagliche Gefühl, dass da ein alter, weiser Mann bei einer Tasse Tee aus dem Nähkästchen plaudert. Locker und selbstbewusst, aber nie arrogant, erzählt er von entscheidenden Fehlern, die seine Forscherleidenschaft erst entfachten, und bahnbrechenden Entdeckungen. Seine Begeisterung für seinen Beruf sprang immer wieder auf mich über.

Doch blitzen auch seine sehr menschlichen Seiten auf. So gewann ich trotz flapsigen Bemerkungen über Tod, Leichen, deren Verwesungsstadien und des teilweise sehr schnöden Umgangs mit den "Überresten" nie den Eindruck, dass Bass das Leben oder die Menschen nicht schätzt. Während er von seinen Erlebnissen erzählt weicht er auch schon mal vom rein wissenschaftlichen Terrain ab und macht einen Ausflug in sein Privatleben. Erzählt aus seinen Ehen, von Liebe und Trauer, seinen Kindern und seinem Glauben. Manch einen mögen diese Abschweifungen ärgern, mir gefiel es auch den Menschen hinter dem Wissenschaftler mit grenzwertigem Spezialgebiet kennenzulernen.

Wiederholungen in Lehrbuchmanier

Der Knochenleser liest sich wahrlich nicht wie ein trockenes Sachbuch. Dennoch brauchte ich einige Monate für die Lektüre. (Dank Dir ganz, ganz lieb für Deine Geduld, liebes Schlümpflein!) Dass ich so lange brauchte, lag nicht an der Qualität des Textes, für Sachbücher brauche ich einfach immer etwas länger, muss in der richtigen Stimmung sein, um weiter zu lesen, lese sie nicht in Bahn oder Badewanne. So las ich immer mal wieder ein Kapitel, um das Buch dann erstmal wieder ruhen zu lassen. Deswegen begrüßte ich es, dass Bass in effektiver Lehrbuchmanier einige Fakten immer wieder erwähnt. Wenn ich das Buch allerdings zügiger durchgelesen hätte, wären mir diese Wiederholungen auf die Nerven gegangen.

Unterhaltsam und lehrreich

Es macht Spaß Bill Bass durch seine biographischen Erzählungen in Der Knochenleser zu begleiten. Leicht und locker plaudert er über sein morbides Forschungsobjekt, erschreckende Kriminalfälle, die er zu entschlüsseln half, und seinen persönlichen Werdegang. Skizzen der "Knochen des menschlichen Körpers", ein kleines Glossar mit Fachbegriffen aus Anthropologie und Gerichtsmedizin und ein Inhaltsregister runden dieses biographische Sachbuch für interessierte Laien ab.