Rezension

Liebesroman oder Endzeitgeschichte?

Ein Jahr voller Wunder - Karen Thompson Walker

Ein Jahr voller Wunder
von Karen Thompson Walker

Bewertet mit 5 Sternen

Julia, noch 11 Jahre alt, lebt mit ihren Eltern in Kalifornien. Sie sind eine völlig durchschnittliche Familie, deren Leben verläuft wie in vielen anderen Familien, bei vielen anderen Amerikanern und wie wahrscheinlich auch vielen anderen Menschen weltweit. In diese heile Welt schleicht sich aus den TV-Nachrichten eine Meldung, die in den nächsten Monaten alles verändern und das „normale“ Leben völlig aus der Bahn werfen wird.
Mit  ein wenig Erstaunen, aber ohne einen Schimmer Vorstellungskraft, was dies wirklich bedeutet, hören Julia und ihre Eltern, dass die Erdrotation sich verändert. Sie verlangsamt sich stetig, zunächst nur um ein zwei Stunden, später dann werden zwischen Tag und Nacht Zeitspannen von 72 Stunden mit steigender Tendenz vergehen. Versucht man zunächst, sich durch geringfügige Änderungen im Tagesverlauf an diese neuen Verhältnisse anzugleichen, steht schon nach wenigen Wochen fest, dass das mit zunehmender Verlangsamung nicht durchzuhalten ist.
So verfügt die Regierung, dass für das Leben der Menschen, für Schulbesuch und Berufstätigkeit, weiterhin die „Uhrenzeit“ anzuwenden ist. Was dazu führt, dass es bei Tätigkeiten, die dem Tage zugehörig sind, oftmals tiefe Dunkelheit herrscht und ebenso, dass die Menschen kaum noch normal schlafen können, weil  draußen taghell ist. 
Damit entsteht ein erster Riss mitten durch den Ort, durch die Nachbarschaft und das Leben dieses kleinen Gemeinwesens. Im Großen dürfte es nicht anders sein, denkt man sich als Leser. Denn es gibt weiterhin Menschen, die der Uhrenzeit-Verfügung nicht Folge leisten und ihr Leben am Auf- und Untergehen der Sonne, an Tag und Nacht orientieren wollen.
Hinzu kommen erste Anzeichen der Auswirkungen dieser Veränderungen. Die Vögel fallen tot vom Himmel, weil sich das Schwerkraftverhalten verändert. Menschen leiden am sog. Syndrom, das lediglich eine Reihe verschiedener Krankheitszustände beschreibt. Das Magnetfeld der Erde verändert sich – mit Folgen.
Auf der einen Seite ist die Erzählerin von all diesen Dingen auf ihre Art verstört, andererseits ist sie auch ein ganz normaler Teenager, der Themen wie der erste BH, die erste Liebe  und ihre Stellung innerhalb der Jugend ausgesprochen wichtig findet. Aber sie kann vor den Auswirkungen der Ereignisse auch nicht die Augen verschließen, zu sehr ist sie auch selbst davon betroffen. Sie entdeckt Geheimnisse ihrer Eltern und ihres Großvaters, die sie nicht verstehen und deuten kann. Andererseits aber ist sie selbst ein Teil dieses Spiels, denn auch sie muss ihre Geheimnisse hüten …
Julia erzählt, was damals passierte, aus der Sicht der heute Erwachsenen. Das bedeutet, dass das Ende des Buches nicht das Ende der Geschichte ist. Die Autorin erreicht mit diesem Kunstgriff, dass eine Distanziertheit im Erzählstil vorherrscht und, sich jeder Leser auch individuell mit dem Geschehen auseinandersetzt. Und das, glaube ich, macht den Roman so faszinierend, dass man trotz einer gewisser Monotonie der Ereignisse voller Spannung Seite um Seite umblättert.