Rezension

Liebevoll-spöttischer Blick auf ein verblassendes Adelsgeschlecht

Die Poggenpuhls - Theodor Fontane

Die Poggenpuhls
von Theodor Fontane

Bewertet mit 5 Sternen

Eins vorweg: ich hätte nicht gedacht, dass es so einen Spaß machen würde, Fontane zu lesen. Angestoßen durch eine privat initiierte WLD-Leserunde (übrigens die Beste, die mir jemals untergekommen ist) fing eine Handvoll Buchbegeisterter an, sich durch das kleine aber feine Büchlein zu schmökern, und ich glaube, keiner hat es bisher bereut.

Worum geht es? Die Poggenpuhls, eine verarmte Adelsfamilie, schlagen sich wacker durchs Leben. Da ist die von Rheuma geplagte Majorin, die ein herzliches Verhältnis zur einzig verbliebenen Dienstbotin des Hauses pflegt; dann die älteste Tochter Therese, deren Hauptbeschäftigung das Adlig-Sein ist und die stets peinlich berührt ist, wenn ihre jüngeren Schwestern sich zu bürgerlich befreunden; dann Sophie und Manon, die gemeinsam den Schornstein am Rauchen halten, wobei die eine (auf Grund ihrer Begabungen) für die Dienstleistungen, die andere für die PR zuständig ist. Die entspannte Pragmatik der beiden weckt sofort die Sympathien der Leser. Dann wären da noch zwei Söhne, die sich beide fern der Heimat beim Militär verdingen: Wendelin, der Karrierebewusstere, den die Familie nie zu Gesicht bekommt, und Leo, der chaotischere Jüngere, der außer Schulden nur mit einem sonnigen Gemüt aufwarten kann. Beide sind der Familie in finanzieller Hinsicht keine Stütze.

Ja, Fontane macht sich über den Adel lustig. Aber doch immer mit diesem respektvoll-liebevollen Blick. Auch der eitle Leo darf an Tiefe gewinnen und philosophisch werden, auch die hochnäsige Therese mal zaghaft freundlichere Charakterzüge entwickeln.

Die Handlung ist aus heutiger Sicht nicht gerade spektakulär. Spektakulär allerdings ist, für den heutigen Leser, der tiefe Einblick in das Alltagsleben des späten neunzehnten Jahrhunderts, das für mich mit vielen überraschenden Details aufwartete, zum Beispiel, dass im 19. Jh. in diesen gehobeneren Kreisen bereits bestimmte englische Begriffe wie "shopping" in Mode waren. Oder auch, dass ein Krim-Stecher bei den jungen Mädels offensichtlich als ultra-angesagtes Accessoire galt. Aber am erstaunlichsten für mich war die Warmherzigkeit, mit der der aufmerksam beobachtende Fontane, trotz gelegentlichen Spöttelns, seine Protagonisten, ihre Beziehungen und Verhaltensweisen zeichnet. In meinem Kopf lösen sich soeben ein paar stereotype Ansichten über das typische deutsche Familienleben im neunzehnten Jahrhundert in Wohlgefallen auf.

Nicht alle gesellschaftlichen Anspielungen kann der heutige Leser auf Anhieb verstehen. Auch die angehängten Hintergrundkapitel des Herausgebers helfen da nur teilweise. Dennoch fand ich die Lektüre angenehm, ja sogar spannend, obwohl eigentlich nicht viel passiert. Besonders gefallen hat mir die große Wertschätzung, mit der Fontane seine weiblichen Charaktere zeichnet. Die Mädels müssen zwar, wie es halt üblich war, den aus der Kaserne angereisten Bruder umschwärmen wie ein Haufen aufgescheuchter Stubenfliegen, sind aber im Prinzip die Strippenzieherinnen. Aber auch sie werden gelegentlich sanft durch den Kakao der feinen Ironie gezogen. Herrlich, wie Sophie, der die ehrenvolle Aufgabe übertragen wurde, die künstlerische Ausgestaltung eine märkischen Dorfkirche zu übernehmen, in einem Brief ihr Vorhaben beschreibt, die Kirche von Adamsdorf gleich neben dem Berg Ararat aufragen zu lassen, auf dem die Arche Noah niederging. Und dann erst, von welchem Berliner Tümpel sie sich für ihr Sintflutgemälde inspirieren ließ... Wenn sie dann noch ankündigt, es als Nächstes mit dem Untergang von Sodom und Gomorrha aufnehmen zu wollen, muss man schon sehr mit den Lachtränen kämpfen.

Dieser Fontane macht Lust auf mehr.

Kommentare

lesesafari kommentierte am 06. Juni 2019 um 21:11

Das ist die schönste Rezi, die ich je las. Hätte ich das Buch noch nicht gelesen, jetzt würde ich es tun. :)