Rezension

Ließ mich zwiegespalten zurück

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 3 Sternen

Alexander, ein junger Mann bezieht eine neue Wohnung, um seiner Vergangenheit zu entgehen. Seine Nachbarin Tatjana ist über 90 Jahre alt, leidet unter Alzheimer und beginnt ihm ihre Lebens/Leidensgeschichte zu erzählen. Eine Geschichte gegen das Vergessen und die Grausamkeiten in Russland unter Stalin.

Ich bin wirklich zwiegespalten, denn einerseits hat mich die Idee hinter der Geschichte überzeugt, andererseits wurde ich mit dem Schreibstil nicht so richtig warm. Vieles war ziemlich emotionslos geschrieben, die eingefügten Gedichte (so viele sind es nicht, also keine Sorge) haben mich nicht überzeugt und es dauerte, bis ich mit den Protagonisten etwas anfangen konnte. Zum Glück gab es sich mit der Zeit, die Charaktere waren weniger farblos und es gab auch manches Zitat, das mich sehr berührt hat. Spannend fand ich die Originalunterlagen zwischen dem Roten Kreuz und der sowjetischen Regierung die zeigen, wie unglaublich unmenschlich die Regierung vorging. Die eigenen Kriegsgefangenen als Deserteure zu behandeln und ihre Familien gleich mitzubestrafen – unfassbar. Das Leben im Lager einfach nur unmenschlich und abscheulich.

Die beiden Protagonisten haben ihre Päckchen zu tragen und im Verlauf der Geschichte scheinen die beiden wirklich zueinander zu finden, wenn das auch zu Beginn ganz anders erschien. Trotzdem haben mich die zwischen Tür-und-Angelgespräche, die das Innerste der beiden zutage fördern, nicht komplett überzeugt. Es ist eine Vergangenheitsbewältigung durch Erzählen und Zuhören, eine Geschichte gegen das Vergessen dieser Zeit, die gerne mal totgeschwiegen oder relativiert wird.

Die Abrechnung mit dem Stalinismus ist an sich eine gute Sache, aber die Umsetzung hat mich nicht überzeugt, zumal mich immer und immer wieder das Gefühl beschlich, dass die Deutschen um Hitler im zweiten Weltkrieg weniger schlimm dargestellt wurden, als Stalin und seine Genossen, dabei waren beide einfach nur abscheuliche Massenmörder und der Krieg unmenschlich. Ich will nicht behaupten, dass der Autor das beabsichtigt hat, aber beim Lesen kam mir immer wieder mal der Gedanke, dass die Nazis für meine Begriffe viel zu gut wegkommen…