Rezension

Lost

Stieg Larssons Erbe - Jan Stocklassa

Stieg Larssons Erbe
von Jan Stocklassa

Bewertet mit 5 Sternen

Okay, das ist hier völlig falsch einsortiert - das ist ein Sachbuch, kein Krimi oder Thriller.

 

In Kürze: Sachbuch. Komplex, mit sehr vielen Personen und Zusammenhängen. Thema ist die journalistische Investigation zum Mord an Olof Palme. Der Journalist Jan Stocklossa recherchierte zu dem Thema und nahm das Archiv Stieg Larssons als Ausgangspunkt (ja, der Autor der „Millenium-Reihe“ um Lisbet Salander und Mikael Blomkvist war „eigentlich“ Journalist). Wegen der Komplexität erfordert das Buch politisch-geschichtliche Vorkenntnisse – dann liest es sich jedoch sehr spannend, wenn auch gelegentlich etwas sperrig.

Am 28. Februar 1986 wurde Olof Palme, damals Regierungschef Schwedens, erschossen – wer nicht ausreichend politisch interessiert ist, um davon mindestens gehört zu haben, für den ist das das falsche Buch. Ich gehe sogar soweit, dass ich der Ansicht bin, dass man die politische Lage der Zeit mindestens grob skizzieren können sollte, um den Text in einen sinnvollen Zusammenhang stellen zu können: Apartheid, geteiltes Deutschland, Iran-Contra-Affäre, der vergangene Vietnamkrieg, Abrüstung, Kalter Krieg, Iran-Irak-Krieg, RAF, Ronald Reagan, Helmut Kohl, Margaret Thatcher. Ich war damals ein Teenager und habe das in den Nachrichten mitbekommen und zufällig vor nicht allzu langer Zeit eine Dokumentation im Fernsehen gesehen, die auf gewissen Ungereimtheiten hinwies (wer sich auf den aktuellen Stand bringen will – unten habe ich einige Links gesammelt).

Autor Jan Stocklossa hat eine Darstellung für das Buch gewählt, an die ich mich zunächst gewöhnen musste: das gibt es romanhafte Passagen, die die Handlung aus der Sicht von Stieg Larsson beschreiben – vermutlich den vielen Fans geschuldet; gleichzeitig empfand ich diese Teile als am einfachsten nachzuvollziehen. Dann gibt es die „Quellen“, Transkriptionen von Interviews oder heimlichen Mitschnitten, Briefe, Akten, Zeitungsausschnitte, Skizzen. Speziell die Briefe Larssons erzeugten bei mir eine etwas unheimlich wirkende Authentizität – leider hat man einen Schrifttypus gewählt, der die damalige Schreibmaschine darstellen sollte, aber einfach nur sehr schlecht lesbar ist (lieber Verlag: ich besitze noch alte Schulaufsätze von der Schreibmaschine geschrieben – das wäre in der Allgemeinheit nie nutzbar gewesen bei derart schlechter Qualität). Insgesamt kann man sich anhand der Quellen sehr gut in die Zeit zurückversetzen; die Notwendigkeit zum Briefweg, zu Durchschlägen im Vergleich zu heutigen Kopien oder Mail verdeutlichen die Unterschiede zum Heute zusätzlich. 

Dazu kommen dann im Buch noch meist kurze Kapitel zum Fortschritt der Untersuchung des Mords - und diese fand ich teilweise problematisch. Da wird häufig eine Personen- und Faktenflut gelistet, das nächste Kapitel hat wieder einen anderen Fokus, dann geht es vielleicht vier Kapitel weiter mit einigen der Personen weiter. Darunter litt teils mein Durchblick, nach anfänglichem Zurückblättern konnte ich mich daran jedoch gewöhnen. Guter Stil ist es dennoch nach meiner Meinung nicht. Überhaupt, Stil: Gerade diese Kapitel kranken häufig an etwas, was in jedem Schulaufsatz angestrichen würde: Bezug, wo ist der Hauptsatz, Anschluss:
S. 297 „Sein Leben war 1986 erstarrt auf dieser Insel, frühere Taten verbüßt. Gestrandet in einem Land, das es offiziell nicht gab, in einem Haus, das langsam verfiel und zuwucherte.“ Warum wird hier ein Punkt statt eines Kommas gesetzt? Derlei Sätze gibt es viele.
Ähnlich mit der heißen Nadel gestrickt wirkt „er war Waffenexperte und verkaufte diese“, wen verkaufte er, die Waffenexperten? Wenn hier nicht das schwedische Lektorat geschlampt hat, war es das nach der deutschen Übersetzung.

Auf den eigentlichen Inhalt möchte ich bewusst nicht eingehen – es gibt kaum ein Buch, beim dem man ähnlich leicht viel zu viel verraten könnte. Was mir wichtig ist: ich neige nicht so sehr zu Verschwörungstheorien, ob das Bernsteinzimmer noch in irgendjemandes Haus aufgebaut ist oder Marilyn Monroe von der CIA ermordet wurde, würde mein Weltbild nicht durcheinander bringen, ist mir aber auch keine Lebenszeit wert. Stocklossa schafft es, den schmalen Grat zwischen Wahrheitssuche, Besessenheit und Verschwörung zu balancieren. Für Fans der Millenium-Bücher dürfte interessant sein, wie viele Parallelen in die journalistische Arbeit von Larsson es gab – ich werde wohl die Reihe nochmals im Licht dieses Buches lesen. 

5 Sterne trotz der genannten Abzüge wegen Stil und Form – da ich schlicht nicht zu beurteilen vermag, ob diese Stocklossa anzulasten sind oder der Übersetzung. Schweden vor, das würde mich interessieren!

Zum Einstieg/Überblick: Wikipedia-Artikel zu Olof-Palme, eine 3SAT-Doku zum Mord, auf youtube.

Kommentare

Steve Kaminski kommentierte am 23. Dezember 2018 um 09:36

„er war Waffenexperte und verkaufte diese“ - solche bzw. ähnliche Verbindungen lieben Autoren! Und brauchen Lektoren, die das sehen!