Rezension

Lost in 1Q84

1Q84. Buch.1/2
von Haruki Murakami

Bewertet mit 3.5 Sternen

Es fällt mir nicht leicht ein eindeutiges Resümee aus der Lektüre von 1Q84 zu ziehen. Einerseits ist Murakamis 1.020 Seiten starkes Schwergewicht meist unterhaltsam, größtenteils sogar spannend, geschrieben, als Ganzes kunstvoll konstruiert und reich bestückt mit aufwühlenden und aktuellen Themen (u.a. Sektenbildung, Kindesmissbrauch, Literaturbetrieb). Andererseits wirkt Murakamis Sprache stellenweise fast bis zur Einfallslosigkeit schlicht, verliert sich in langweiligen Wiederholungen und oberflächigen Beschreibungen. Dass die Lektüre insgesamt dennoch auf einem angenehm erträglichen Niveau bleibt, verdankt der Roman vor allem der bis zum Ende stabilen Spannungskurve, die aus dem geschickt gesponnenen Plot resultiert.

Erzählt wird uns die Story aus zwei anfangs scheinbar zusammenhangslosen parallel verlaufenden Perspektiven, die sich mit ihren Hauptprotagonisten Aomame und Tengo abwechseln.

Aomame, Anfang dreißig, im alltäglichen Leben Fitnesstrainerin von Beruf, ist eine geschickte Auftragskillerin, die vorzugsweise diejenigen ins Jenseits befördert, die ihrerseits andere durch häusliche Gewalt misshandeln und missbrauchen. Der gleichaltrige Tengo verdient sein Brot als Mathematikdozent und führt zugleich ein Schattendasein als talentierter aber bisher unveröffentlichter Schriftsteller. In Rückblicken erfahren die Leser, dass sich die Lebenswege der beiden im Kindesalter einmal kreuzte und sie seitdem eine tiefe Zuneigung, ja sogar Liebe, verbindet, obwohl sie sich seitdem nie wiedergesehen haben.

Durch die gewaltsamen Vorkommnisse um die geheimnisvolle Sekte 'Die Vorreiter' kreuzen sich die Schicksalsfäden von Aomame und Tengo erneut. Aomame erhält den Auftrag, den Sektenführer zu töten, da innerhalb dieser zweifelhaften Glaubensgemeinschaft systematisch Kindesmissbrauch betrieben wird. Tengo fungiert als Ghostwriter der rätselhaften Fukaeri, die als Kind den Fängen der Vorreiter entkommen ist und ihre Lebensgeschichte in Romanform zu Papier bringen will. 'Die Puppe aus Luft' heißt dieser Roman, dessen mysteriöse Handlung jedoch den Ursprung der realen Geschehnisse zu beschreiben scheint. Doch irgendwie geht Tengo und Aomame im Laufe der Geschichte die Realität verloren und sie finden sich in der Parallelwelt von 1Q84 wieder...

Das Spannungsfeld zwischen der realen Welt von 1984, in der die Handlung ihren Anfang nimmt und der fiktiven Parallelwelt von 1Q84, in der sich die beiden immer tiefer verlieren, verleiht dem Roman die ihm eigene subtil verwirrende Atmosphäre, die den Leser Schritt für Schritt mehr gefangen nimmt.

Mit literarischen Reminiszenzen geizt Murakami nicht. Die Bezeichnung 1Q84 ist ganz klar in Anspielung auf Orwells 1984 gewählt. Auch der unheilvolle Einfluss der 'little people', einer mysteriös im Verborgenen agierenden Macht, erinnert an den nicht weniger unheillvollen 'big brother' im Hintergrund von Orwells Zukunftsvision. Dennoch erscheinen Murakamis Anspielungen zeitweise fast willkürlich und überfrachten die sowieso schon sehr komplexe Handlung unnötig. Dass Murakami seinen Lesern am Ende dieses Buches (beinhaltet Teil 1 und Teil 2) dann auch noch die Auflösung vorenthält, ist schade. Das Ende bleibt offen und man fühlt sich angesichts der vielen offen gebliebenen Fragen doch etwas verloren. Nun immerhin sollen im dritten Teil alle Geheimnisse gelüftet werden.

Ob 1Q84 wirklich Murakamis Meisterstück ist, wie viele Kritiker meinen, vermag ich nicht zu beurteilen. Aber ganz gewiss findet er mit diesem Roman verdient seinen Weg zu einer breiten Leserschaft.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 31. August 2016 um 10:29

Oh, oh, ob ich so was lesen will?