Rezension

Lost in Lockwood Manor

Die stummen Wächter von Lockwood Manor - Jane Healey

Die stummen Wächter von Lockwood Manor
von Jane Healey

Bewertet mit 3.5 Sternen

1939 war ein einschneidendes Jahr für Europa. Deutschland erklärte dem Vereinigten Königreich den Krieg, marschierte bald in Frankreich und Polen ein, besetzte die Niederlande und verbündete sich mit anderen faschistischen Regimen wie Italien unter Mussolini. Groß Britannien versuchte sich vorzubereiten. Ziel der deutschen Fliegerbomber würden militärische Stützpunkte und Industriestädten sein. Die Kinder wurden aufs Land geschickt und auch Kulturgüter galt es zu schützen. Durch den Kriegsdienst mangelte es an männlichen Vorgesetzten in Hetty Cartwrights Abteilung der Säugetiersammlung des Natural History Museums und so wurde ihr die ehrenhafte Aufgabe zuteil, die Tiere auf ihrer Evakuierung auf den herrschaftlichen Landsitz Lockwood Manor zu begleiten. Hetty will sich beweisen und für ihre Tiere gut sorgen. Die Sammlung ist ein wissenschaftlicher Schatz, dessen ist sie sich klar bewusst. Und welche Schwierigkeiten sollten in einem alten Herrenhaus schon auf sie lauern? Doch in Lockwood Manor herrscht eine eigenartige Stimmung. Der Lord ist ein lebensfroher Witwer mit einer Vorliebe für junge Gespielinnen, Hetty behandelt er von oben herab und ist seiner erwachsenen Tochter Lucy gegenüber herrisch und bevormundend. Lucy hingegen ist bezaubernd, aber auch extrem überspannt. Nachts weckt sie mit ihren Schreien das gesamte Haus auf und lässt sich aus ihren Albträumen nur schwer wieder herausholen. Bereits in der ersten Nacht verschwindet eines von Hettys Tieren unauffindbar und im Verlauf ihrer Zeit auf Lockwood Manor passieren weitere unvorhergesehene Dinge, die Hetty nach und nach zermürben.

Der Roman will sich nicht in eine schnelle Schublade stecken lassen. Von der übernatürlichen Spukgeschichte in der Erzähltradition des 19. Jahrhunderts bis hin zum psychologisierten Roman, bei dem hysterische Frauen die Hauptrolle spielen, könnte alles drin sein und dementsprechend polarisierend wirkt die Geschichte auf die Leserschaft. Es wird mit der Erwartungshaltung des Lesers gespielt und dabei recht hoch gepokert. Auf Lockwood Manor muss man sich einlassen können, um den Zugang zum Schauplatz mit seinen Figuren zu finden. Die beiden Frauencharaktere Lucy und Hetty fallen zwar aus dem gesellschaftlichen Raster der Zeit, sind aber auch für den Leser in ihren Ängsten und Sorgen schwer zu fassen und auszuhalten. Das Gebaren auf dem Anwesen wirkt noch sehr nach der klassischen Lebensweise im Jahrhundert zuvor, doch beim Adel mahlen die Mühlen bekanntlich langsam. Man will sich von seiner Machtposition noch nicht so schnell lösen.

Jane Healeys Roman ist wahnsinnig dicht gepackt und lässt sich dennoch viel Zeit beim Erzählen und Ausgestalten. Nichts für Ungeduldige. Für mich genau richtig. Mich hat Hettys innere Entwicklung in Lockwood Manor begeistert, wenn es auch zuweilen anstrengend an ihrer Seite war. Die zweite Erzählerstimme Lucy ist ein guter Kontrast zur rationalen Hetty. Lucy ist in ihrer Kindheit auf Lockwood Manor gefangen. Traumatisiert von all den Geheimnissen und verstörendem Verhalten ihrer Eltern, die in einer Hassliebe zueinander brannten, die Lucys Mutter allmählich um den Verstand gebracht hatte. Lucy fühlt sich seit dem Unfalltod ihrer Mutter und Großmutter an das Haus gebunden – in einer verqueren emotionalen Kompensation, die Hetty nur schwer nachvollziehen kann. Ein komplexer Roman im historischen Ambiente, der seine Fans finden wird.

Was ich leider extrem schade finde, ist das offensichtlich vergessene Korrektorat bei dieser Ausgabe. So viele Tippfehler, Füllwörter an falscher Stelle und Buchstabendreher habe ich in dieser Fülle schon lange nicht mehr bei einer Lektüre übersehen müssen.