Rezension

Loyalität und Zweifel

Das Lied des Blutes - Anthony Ryan

Das Lied des Blutes
von Anthony Ryan

Vor einer Weile habe ich mir die Leseprobe dieser Neuerscheinung gegönnt und war überrascht und begeistert von deren Inhalt. Wenn man Cover und Titel sieht, denkt man als versierter Fantasy-Literatur-Freund sofort an abgegriffene Standard-Fantastik - reißerischer Titel, Schwert auf dem Cover, irgendwie alles sehr typisch. Wenn ich den kurzen Textausschnitt nicht gelesen hätte, wäre ich nie auf die Idee gekommen, dieses Buch zu kaufen, sondern in der Buchhandlung wohl mit gehobener Augenbraue daran vorbei gegangen und hätte es allerhöchstens mit einem gelangweilten "Naja..." kommentiert. Meine Erwartungen waren also nicht besonders hoch. Vielleicht sollte man sich das mal angewöhnen, seine Erwartungen nicht allzu hoch zu schrauben, denn dann wird man viel häufiger positiv überrascht - wie auch in diesem Fall. Als ich den Roman dann real, also nicht nur URL, in den Händen hielt, war ich zuallererst begeistert von der aufwendigen und liebevollen Gestaltung. Das Buch ist richtig dick, richtig schwer und hat ein sehr edles, geprägtes Cover. In meinem mehr als übervollen Regal sieht es richtig gut aus und sticht ein wenig heraus. Bücher wie diese sind der Grund, warum ich mich nicht mit E-Books anfreunden kann. Doch wie das immer so ist - am Ende zählen die inneren Werte. Und dazu kommen wir jetzt.

Die Geschichte gliedert sich im Groben in zwei Handlungsstränge auf, die vom Protagonisten Vaelin Al Sorna geprägt sind. Ich merke an, dass ich diese Namenswahl wirklich gelungen finde - der Name "Vaelin" klingt zugleich fremd, ist aber sehr weich auszusprechen - das gefällt mir. Zunächst lernen wir Vaelin kennen, der als verurteilter Verbrecher zu einem Tribunal geführt wird, der Name "Hoffnungstöter" fällt mehrfach, es wird erwähnt, dass er den zukünftigen Kaiser, den Hoffnungsträger, ermordet haben soll. Während der Überführung zu seinem Tribunal - auf einem Schiff - trifft Vaelin auf den kaiserlichen Chronisten, also einen Schreiber, der die Historie des Reiches erfasst. Die Art wie die Überheblichkeit dieses Mannes sehr subtil geschildert wird, hat mir richtig gut gefallen, vorallem, da die selbstsichere, überlegene Fassade ziemlich schnell zu bröckeln beginnt. Aufgrund der beengten Verhältnisse auf dem Schiff, kommt es zwangsläufig dazu, dass Vaelin und der Chronist, welcher dem "Hoffnungstöter" selbstredend feindselig gegenüber steht, ins Gespräch kommen. Am Ende siegen die Neugier und der Wissensdurst des Schreibers, und Vaelin erzählt ihm seine Geschichte. Diese Begebenheit bildet im Prinzip den äußeren Rahmen der Handlung und wird an einigen Stellen kurz und nicht störend wieder aufgegriffen.

Im zweiten Handlungsstrang, der Vergangenheit, geht es auch wieder um Vaelin Al Sorna. Aus an dieser Stelle noch unerfindlichen Gründen gibt Vaelins Vater seinen Sohn in ein Ordenshaus, als dieser noch ein kleiner Junge ist. Der Junge wird schon bald mit den rauen Sitten und der harten Ausbildung des Sechsten Ordens vertraut gemacht und mit Leid, Tod und menschlichen Abgründen konfrontiert. Der Leser erfährt viel über den Glauben in diesem fiktiven Reich, über die Beschaffenheit der Orden, deren Vorsteher, Sitten, Gebräuche und allerlei Wahn und Verblendung, die doch sehr stark an vergangene und aktuelle Zeiten der wirklichen Welt erinnern. Der junge Vaelin wird zum Krieger ausgebildet, genauer gesagt beinahe schon zu einer Kampfmaschine gedrillt, er wird zu einem der besten Schwertkämpfer des ganzen Reiches. Er kämpft mit Schmerz und Verlust, schließt Freund- und Feindschaften, wird erwachsen. Hinzu kommen politische Ränke und Intrigen, die auch und vorallem die geistliche Welt betreffen und vom König des Reiches ausgehen. Folter, Mord und Erpressung sind an der Tagesordnung. Das Ganze ist wirklich sehr ansprechend herausgearbeitet und wird gekrönt von einer verborgenen und, das muss ich an dieser Stelle erwähnen, recht innovativen Anwesenheit von Magie. Der Titel des Buches bezieht sich genau auf diese besondere Begabung und nicht, wie erwartet, auf das Kriegshandwerk. Die Schilderung dieses Liedes ist faszinierend - und um nicht alles vorweg zu nehmen, belasse ich es auch bei dieser kleinen Anspielung und führe es nicht weiter aus.

Insgesamt betrachtet handelt es sich hier um ein sehr solides und stellenweise auch innovatives Fantasy-Konzept, das man mit gutem Gewissen weiterempfehlen kann. Der Spannungsbogen wird im gesamten Handlungsverlauf gehalten, es ist immer interessant und unterhaltsam, weiterzulesen, und es wird auch nicht langweilig. Da es sich um eine mehrteilige Reihe handelt, freue ich mich schon jetzt auf die Fortsetzungsromane und hoffe, dass die Qualität des Schreibstils, der Atmosphäre und der Geschichte an sich auch in den kommenden Büchern erhalten bleibt. Ich werde sie auf jeden Fall lesen und spreche für den ersten Band, "Das Lied des Blutes" eine klare Leseempfehlung aus.