Rezension

Lynn Raven - mal nur für Erwachsene

Hexenfluch - Lynn Raven

Hexenfluch
von Lynn Raven

*Worum geht's?*
Nach ihrer letzten Beziehung hat Ella Thorens eine endgültige Entscheidung getroffen: Sie hat genug von Männern! Ella ist erfolgreiche Ärztin und liebt ihren Beruf, aber kein Mann scheint Verständnis dafür zu haben, dass ihr Job für sie an erster Stelle steht. Damit ist nun Schluss, ein für alle Mal! Ihr Herz fest verschlossen, steckt sie all ihre Energie in ihre Arbeit. Als sie eines Abends auf dem Weg zu einem Hausbesuch ist, findet sie in einer dunklen Gasse einen schwerverletzten Mann. Nicht ahnend, wie folgenschwer diese Begegnung sein wird, versucht Ella, dem Mann zu helfen - und überträgt seine schweren Verletzung auf ihren eigenen Körper. Nur knapp entkommt sie dabei selbst dem Tod. Doch was ist an diesem Abend wirklich passiert? Erst als sie den Mann wiedertrifft, erhält Ella Antworten auf ihre Fragen: Sie ist eine Hexe, eine Heilerin, und die Berührung zwischen ihr und ihm, dem attraktiven Hexer Christian Havreux, hat ihre schlummernde Kräfte entfachen lassen. Um weiterhin als Ärztin arbeiten zu können, muss sie lernen, ihre Magie unter Kontrolle zu halten. Deshalb willigt sie ein, sich von Havreux unterrichten zu lassen. Der verfolgt jedoch seine ganz eigenen Pläne - und dafür braucht er Ellas Herz...

*Kaufgrund:*
Lynn Raven gehört zu den Autorinnen, an deren Büchern ich einfach nicht vorbeikommen kann. Nachdem das Erscheinungsdatum von "Hexenfluch" so oft nach hinten verschoben wurde, war die Freude umso größer, als ich endlich mit dem Lesen beginnen durfte.

*Meine Meinung:*
Dunkel und düster, brutal und blutig, sexy und sinnlich - so lauten die Eigenschaften, die "Hexenfluch" am besten beschreiben. Das neueste Werk aus Lynn Ravens Feder hebt sich damit deutlich von ihren bisherigen Büchern ab. Kennt man bisher nur ihre romantische, zaghafte Seite aus ihren Jugendbüchern, ist man von diesem extremen Sprung zur Dark Fantasy mit ihren gewaltsamen Szenen verständlicherweise überrascht. Ob sie sich in diesem neuen Genre ebenfalls gut zurechtfinden würde?

Zu Beginn war ich mir nicht sicher, ob der Genrewechsel der Bestseller-Autorin wirklich gelingen sollte. Ein guter Anfang war jedenfalls gegeben: Mit Ella, der Powerfrau, stellt Lynn Raven eine liebenswürdige Protagonistin vor, mit der man bereits nach dem ersten Kapitel sympathisiert. Noch eben hat sie sich nach einer gescheiterten Beziehung geschworen, keinen Mann mehr in ihr Leben zu lassen - mal ehrlich, welche Frau kennt diese Gedanken nicht?! -, schon rappelt sich die junge Ärztin wieder auf und zieht energiegeladen und kraftvoll durch das Leben. Obwohl Ella bereits viel in ihrem Leben einstecken musste, hat sie niemals aufgegeben und stets um das gekämpft, was ihr lieb und teuer war. Bloß in Sachen Magie (und Liebe, auch wenn sie es sich selbst nicht eingestehen will) braucht die Einzelkämpferin eine helfende Hand...

...die ihr der attraktive Christian Havreux nur zu gerne reicht. Der charmante Hexer ist der erste Mann in Ellas Leben, der sie so schätzt, wie sie ist. Er respektiert ihre Entscheidungen und unterstützt sie; bringt ihr bei, ihre Magie zu kontrollieren, damit sie ihren Beruf, ihr Leben wie gewohnt weiterführen kann. Christian ist es, der Ellas verschlossenes Herz wieder öffnet und zum Schlagen bringt.

Was Ella jedoch nicht weiß: Christian ist ein verfluchter Hexer, der ihre Macht braucht, um endlich den 800-Jahren-alten Bann brechen zu können, der auf ihm lastet und ihn an die fürchterliche Dämonin Lyresha bindet. Er ist ein Meister der Manipulation. Lynn Raven lässt in einigen Kapiteln die Perspektive des allwissenden Erzählers von Ella zu Christian wechseln, wodurch wir als Leser bereits sehr früh über seine wahren Absichten aufgeklärt werden. Während Ella beinahe blind auf sein Spiel hereinfällt, möchte man am liebsten in das Geschehen hineinspringen und sie aufhalten! Je weiter die Geschichte voranschreitet, desto deutlicher wird jedoch, dass Christian nicht bloß der Mann mit den zwei Gesichtern ist. Er ist ein interessanter, tiefgründiger und facettenreicher Protagonist mit einer erschreckenden Vergangenheit. Ob seine Zukunft ebenso schrecklich verläuft, ist wohl ganz von Ella abhängig...

Während die Charaktere des Romans ab der ersten Seite strahlen, muss die Handlung erst einmal ein großes Tief überwinden, ehe auch sie sich beweisen kann. In der ersten Hälfte von "Hexenfluch" plätschert die Geschichte trotz vielversprechender Szenen farblos und trist vor sich hin; sie kann schlicht und ergreifend nicht packen. Dies liegt vor allem an der gemeinen Vorhersehbarkeit, von der sie geplagt wird. Die Handlung ist für das Genre so typisch, so einfallslos, dass man sich ernsthaft fragt, wo Ravens Fantasie geblieben ist, die einen zum Beispiel in "Der Spiegel von Feuer und Eis" begeistern konnte. Wären die Figuren nicht so gut gelungen, wäre einem die erste Hälfte wohl wie eine Ewigkeit vorgekommen.

Nach dem schwierigen Teil des Buches kommt es dann glücklicherweise zu einer großartigen Kehrtwende: Kaum kam es zu dem großen "Oh-das-hätte-ich-ja-gar-nicht-erwartet"-Ereignis zwischen Ella und Christian, nimmt die Handlung so rasant an Fahrt auf, dass man gar nicht mehr mit dem Lesen aufhören will. Die zuvor angedeuteten Geheimnisse und Probleme nehmen endlich konkrete Gestalt an und wollen aufgedeckt und gelöst werden! Von nun an zeigt Lynn Raven bis zur letzten Seite, was wirklich in ihr steckt. Es wird feurig, brutal und vor allem blutig - nein, "Hexenfluch" ist definitiv kein Jugendbuch mehr! Hier bietet sich Dark Fantasy vom Feinsten, die einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

*Cover:*
Eine Frau in einem hübschen Kleid, eine atemberaubende Skyline: "Hexenfluch" passt mit seiner schicken Verkleidung sehr gut zu seinen Genrekollegen, sticht dabei allerdings nicht sonderlich hervor. Wäre der Name der Autorin nicht so auffällig, wäre ich wohl ohne weiteres an dem Buch vorbeigezogen.

*Fazit:*
Mit "Hexenfluch" gelingt es Lynn Raven, in einem neuen Genre Fuß zu fassen. Es ist überraschend anders, aber auch überraschend gut! Die großartigen Charaktere können in jeglicher Hinsicht überzeugen und auch die spannende Geschichte versteht es, die Leser mitzureißen - vorausgesetzt, sie haben es geschafft, sich durch die zähe erste Hälfte des Romans zu beißen. Durchhaltevermögen wird in "Hexenfluch" definitiv belohnt! Insgesamt vergebe ich knappe 4 Sterne.