Rezension

Männerwirtschaft in Maine

Judith: A Quoddy Tale - John R. Cobb

Judith: A Quoddy Tale
von John R. Cobb

Bewertet mit 4.5 Sternen

Der alte Jasper, Hummerfischer in der Bucht von Passamaquoddy im nördlichen Maine, spürt, dass er die Arbeit an Bord nur noch schwer schafft. Als sein Schwiegersohn Ray nach 20 Jahren bei der Marine seinen Abschied nimmt, bietet Jaspers Situation beiden Männern die willkommene Chance zum Neuanfang. Ray, als Texaner im Prinzip eine Landratte, hat noch immer mit seinen Kriegserlebnissen in Vietnam zu kämpfen und mit seinen Schuldgefühlen, weil während seiner Militärzeit Frau und Kind tödlich verunglückt sind. Japer genießt die Zusammenarbeit mit Ray. Die beiden vollenden die letzten Bauarbeiten an Jaspers Haus, anschließend läßt Ray sich vom Vater seiner Frau in die Hummer- und Leinenfischerei einarbeiten. Die enge Zusammenarbeit der beiden Männer wirkt wie die Ruhe vor dem Sturm; denn bald wird Jaspers Sohn Dale aus dem Gefängnis entlassen. Dale hatte vor seiner Verurteilung mit der Fischerei Schluss machen wollen. Doch wenn Vater oder Schwager ihn nach seiner Haftentlassung bei sich aufnehmen, wird Dale kaum ablehnen können, mit Ray zusammen auf der "Judith" zu arbeiten. Da das Verhältnis zwischen Vater und Sohn schon immer gespannt war, wird die Zweckgemeinschaft der drei Männer kaum konfliktfrei bleiben. Jasper hat seinem Sohn nie dessen Beziehung mit einer Frau vom Stamm der Passamaquoddy verziehen.

Der Roman des Genres "Local Interest", der auch als Paperback vorliegt, hat mehr zu bieten, als das nüchterne Cover vermuten lässt. John R. Cobbs maritime Geschichte spielt in Sichtweite von Campobello Island, der Sommerresidenz Franklin D. Roosevelts. Die Familie Roosevelt zeigte mit der Wahl Ihres Sommerhauses einen erlesenen Geschmack; denn die Bucht von Passamaquoddy an der Grenze zur kanadischen Provinz New Brunswick ist ein wild-idyllisches Plätzchen mit felsigen Inselchen, nistenden Seeadlern und dem Blick auf vorbeiziehende Wale. Allein die wunderbar getroffene Atmosphäre dieses Küstenabschnitts lohnt die Lektüre der Geschichte. Cobb, der für Bangor Hydro-Electric Co arbeitet, zeigt sich als genauer Kenner der Arbeitswelt an Bord eines Hummerbootes. Seine penible Beschreibung, wie die Leinen und Hummerkörbe vorbereitet und ausgelegt werden, habe ich mit Begeisterung gelesen und den umfangreichen Fachwortschatz aufgesogen. Die Verknüpfung der Familiengeschichte der drei "Jungs" mit der Fischereithematik finde ich sehr gelungen und auch für Leser interessant, die von der detailversessenen Schilderung der Arbeitswelt weniger angesprochen werden. Wer Landschafts- und Naturbeschreibungen mag und keine außergewöhnlichen literarischen Ansprüche stellt, wird von John R. Cobb gut unterhalten.