Rezension

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Magersucht ist mehr

Wie viel wiegt mein Leben? - Antonia C. Wesseling

Wie viel wiegt mein Leben?
von Antonia C. Wesseling

Bewertet mit 4 Sternen

Vorab: Ich bin KEINE Betroffene und habe auch niemanden in meinem direkten Umfeld, der von der Krankheit betroffen ist. Ich hatte im Bekanntenkreis Menschen, die unter dieser Krankheit litten. Ich habe mich aus purer Neugier auf dieses Buch eingelassen. Ich werde nicht behaupten, dass ich alles verstehe und nachvollziehen kann. Denn das kann ich nicht. Genau das ist es doch was die Krankheit ausmacht. Ich muss sie nicht verstehen. Ich muss mich ich nicht damit auseinandersetzen. Aber sehr viele Kinder, Männer und Frauen müssen das. Sie haben keine Wahl. Und ich habe dieses Buch gelesen, um zumindest ein bisschen mehr zu verstehen. 

 

Antonia C. Wesseling schreibt einfach und verständlich. Ich hatte das ganze Buch über den Eindruck, dass das Buch sehr für jüngere Leserinnen und Leser geeignet ist. Das war mir Sicherheit auch so gedacht und ich finde es auch gut so. Ich zweifle nicht daran, dass sie auch hochgestochener und verschachtelter schreiben hätte können. Aber das würde vom Wesentlichen ablenken, denn in erster Linie geht es um ihre Geschichte. 

 

Die Aufmachung des Buches ist schön und ordentlich. Das Cover sieht hochwertig aus und wirkt nicht kitschig. Die verschiedenen Abschnitte "Mein Tipp" und "Mama sagt" sind schön eingebaut, hätten meiner Meinung nach aber auch rausgelassen werden können. Ich finde auch, dass man den Namen der Mutter direkt nennen könnte, aber das ist wirklich nur Geschmacksache. 

Antonia C. Wesseling´s Geschichte ist sicher keine allzu schöne, die ein gutes Gefühl hinterlässt. Besonders schwer ist mir die Familienkonstellation gefallen, weil ich so viel einfach nicht verstehen konnte und sich für mich völlig fremd anfühlte. Besonders ihre Schwester wirkt auf mich ziemlich genervt und  motzig. Ich kann nachvollziehen, dass es für sie unglaublich schwer gewesen sein musste. Trotzdem fand ich es irritierend, dass sie so reagiert hat obwohl sie 1-2 (?) Jahre älter ist. Die Magersucht hat Antonia C. Wesseling "kindlich" gehalten. Aber ihre Schwester kommt mir in den wenigen Abschnitten und der Erzählung unreif, beinahe schon eifersüchtig, vor. Auch die Eltern wirken trotz allem distanziert auf mich. Ich weiß nicht, ob es die Formulierungen der Aussagen sind, aber das Ganze scheint mir nicht stimmig ins Buch zu passen. Ich erlaube mir kein Urteil über mir völlig fremde Menschen. Ich weiß nicht, ob sie anders oder sogar besser handeln hätten können. 

Antonia C. Wesseling schreibt, dass viele sich nicht bewusst sind, dass MEHR hinter der Magersucht steckt. Das hat mich wirklich schockiert! Ich habe selbst keinerlei Berührungspunkte damit und wusste trotzdem schon im Teenageralter, dass die Magersucht nicht das "eigentliche Problem" ist. Ich hatte in der Oberstufe zudem Psychologie und wusste seit dem, dass hinter nahezu jeder Krankheit (besonders psychischen Krankheiten) mehr steckt als das bloße Auge sieht. Umso mehr hat mich die Aussage überrascht, dass viele sogar im späteren Teenageralter NICHTS davon wissen. Das muss unbedingt geändert werden und genau das möchte die Autorin mit diesem Buch erreichen. Ein Erfolg, aus meiner Sicht. 

Auch wenn ich aus diesem Buch nicht viele Erkenntnisse ziehen konnte, war es interessant zu lesen. Da die Erzählung leicht geschrieben ist, kann man das Buch in einer Sitzung fertig lesen. Die vielen Motivationssprüche waren für mich etwas zu viel des Guten, aber vermutlich auch deshalb, weil ich die meisten schon kannte. Toll fand ich, dass kein Gewicht genannt wurde und die Autorin immer wieder klar macht, dass das Gewicht nicht aussagt wie krank oder gesund man ist, sondern der Kopf. Ja, sie hat es öfter erwähnt, aber das ist eine solch wichtige Message, das darf man auch mal wiederholen.

Besonders heftig fand ich den Abschnitt "Ich stehe für mich ein". Ich fand ihn zum einen natürlich aus offensichtlichen Gründen sehr schlimm, zum anderen habe ich mich dabei erwischt zu fragen "WARUM macht sie das?". Wieso lässt sie sich auf so eine gefährliche Situation ein? Wie kam es überhaupt dazu, dass sie plötzlich im Schlafzimmer sind? Alles wird so plötzlich, wie sie sagt, schnipselartig beschrieben. Ich möchte an dieser Stelle betonen, dass ich unter keinen Umständen damit sagen will, dass sie die Schuld dafür trägt. NIEMALS. Ich war einfach nur geschockt und auch irritiert, weil die Situationen so gefährlich für mich klangen. Als die Autorin von ihrem Date mit dem wildfremden Mann erzählte schrillten alle Alarmglocken bei mir. BITTE passt auf euch auf! 

 

Ich bin der Meinung, dass das Buch an ein jüngeres Publikum gerichtet ist. Ich denke auch, dass man es als nicht betroffene Person lesen kann, besonders wenn man sich mit der Thematik "Magersucht" oder anderen psychischen Krankheiten nie befasst hat. Grundsätzlich "profitieren" vom Buch aber eher Betroffene. Das Buch ist interessant geschrieben, es informiert und regt zum Nachdenken an. Meine Erwartungen wurden diesbezüglich erfüllt. Auch wenn Antonia C. Wesseling von sehr intimen, schlimmen Momenten schreibt ist das Buch teilweise etwas oberflächlich und wie ein gewöhnlicher Ratgeber geschrieben. Das finde ich schade, denn ich habe das Gefühl, dass sie tiefgründiger schreiben kann. Ich glaube da geht noch mehr und ich bin mir sicher, dass auch in Zukunft noch mehr kommen wird. 

Ich kann das Buch wärmstens empfehlen.