Rezension

Magie, Liebe und Gefahr im viktorianischen London

Eiskalter Atem - Alyxandra Harvey

Eiskalter Atem
von Alyxandra Harvey

Bewertet mit 4 Sternen

Drei adlige junge Damen müssen sich in der Welt der Hexen und Magie zurechtfinden und gegen die dunkle Seite ihrer Macht ankämpfen. Für junge und junggebliebene Hexen, die London in jeder Epoche lieben.

~~Die Story: London, 1814. Drei adlige junge Damen, allesamt Debütantinnen, Emma Day, Tochter von Lord und Lady Hightower, Penelope Chadwick, Tochter eines reichen Brauereibesitzers und Lady Lovegrove, Gretchen Thorn, Tochter von Lord und Lady Wyndham teilen ein Schicksal, das ihre Mütter Theodora, Bethany und Cora in einer langen Ahnenreihe an sie weitergegeben haben: Sie haben allesamt magische Kräfte, entstammen der alten Hexenfamilie der Lovegroves. Doch bisher wissen die drei Cousinen nichts von Zauberei, Magiern, Bewahrern und dem Orden, denn Emmas Mutter hat nach einer in den Augen des Ordens unverzeihliche Tat noch vor der Geburt ihrer Tochter und ihrer Nichten einen Zauber gewirkt, der die drei Mädchen Magie gegenüber unempfänglich macht und sie so vor dem Orden schützt. Tragisch, dass Lady Hightower durch den Zauberspruch psychisch krank geworden ist, ihr Dasein seither im Familienanwesen der Lovegroves in einem Zimmer, dessen Wände mit einem Wald bemalt ist, fristet, sehnsuchtsvoll in den nahen Wald von Windsor blickt und ihre eigene Tochter nicht erkennt. Auch Emma kennt ihre Mutter nur wenig, da ihr Vater Besuche bei der Mutter nicht forciert. Jedoch besitzt Emma eine Lebenskiste ihrer Mutter mit verschiedenen, auch geheimen, Schubfächern, aus dem sie beispielsweise einen gläsernen Parfumflakon hat den sie als Erinnerungsstück mit sich trägt. Als dieser Flakon nun zerbricht – durch Zufall oder nicht – auf einem der Debütantinnenbälle, die der pummeligen aber lebenslustigen Penelope, der impulsiven Gretchen und der cleveren Emma eher lästig sind als dass sie sich dort einen künftigen Ehemann suchen wollen, entfesseln sich gute und böse magische Kräfte, in London gehen gruselige Dinge vor, der Orden und die Bewahrer werden auf die drei Mädchen aufmerksam, da besonders Emma immer dort zu finden ist, wo eine junge Hexe ermordert wurde. Emma kann sich zunächst keinen Reim darauf machen, doch mit Hilfe ihres Verehrers Cormac Fairfax, Lord Blackburn, kommt sie zusammen mit ihren Cousinen auf die Spur ihres magischen Erbes. Cormac, ein Bewahrer der Hexen und Mitglied des Ordens der Fehlverhalten von Hexen ahndet, der aber selbst als Erbe einer Hexenfamilie mit einem tragischen Schicksal leben muss, gelingt es, Emma selbst vor dem Tribunal des Ordens mit List und Tücke zu retten. Jedoch wird Penelope, Gretchen, ihrem ebenfalls begabten Zwilling Godric, und Emma auferlegt, die Hexenschule Rowanstone für junge Damen und Ironstone für Gentleman zu besuchen und zu lernen, mit ihren magischen Kräften umzugehen. Emma steht immer wieder auf dem Prüfstand, muss beweisen dass sie von der vermeintlichen Missetat ihrer Mutter nichts weiß. Gemeinsam mit ihren Freunden, zu denen nun auch der Madcap Moira gehört, eine Hexe die auf den Dächern Londons lebt und sich mit kleinen Gaunereien am Leben hält, muss Emma gleich mehrfach gegen Kreaturen die aus durch den Bruch des Flakons geöffnete Portale aus der Unterwelt nach London kommen und die Schwarzmagerinnen Greymalkin, drei rachsüchtige Geister, die wieder eine menschliche Gestalt annehmen wollen und dazu Magie aussaugen, kämpfen. Besuche bei ihrer Mutter führen die junge Frau auf die Spur nach einem weiteren Geheimnis, das Emma zunächst verwirrt als ihr plötzlich ein Hirschgeweih wächst und das eng mit dem Wald verbunden ist, den Lady Theodora so liebt. Emma muss sich schließlich entscheiden, auf welcher Seite sie steht.
Die Charaktere: Die Autorin beweist sehr viel Liebe fürs Detail was ihre magischen Figuren und deren Umwelt betrifft. Die auf Etikette bedachte pingelige Lady Cora, die mutige und kluge aber leider gebrochene Lady Theodora, die künstlerisch begabte und freigeistige Lady Bethany. Deren Töchter, die rebellische Gretchen, die ebenfalls schlaue und mutige, aber auch oft einsame Emma, die lebensfrohe und selbstbewusste Penelope. Die Vaterbilder, die gezeichnet werden, im kühlen Lord Hightower, der mit seiner Tochter nicht viel zu tun hat, dem gebildeten Lord Wyndham und dem beschützenden und bereits schon liberalen Mr. Chadwick. Moria, das zaubernde Straßenmädchen das als Junge verkleidet ganz London von oben kennt, sich durchzusetzen weiß und wenig Angst kennt als Ziehkind des Einäugigen Joe, der ebenfalls eine Hexe ist und einen bunten Laden mit magischen Kameen besitzt. Den Enkel des Kutschers der Chadwicks, Cedric, der ebenfalls magische Kräfte hat und schon als Kind mit Lady Penelope spielen, lernen, Reiten und Klavier spielen durfte. Die beiden Bewahrer Tobias und Virgil, die Cormac in Schach halten muss, Cormac selbst der zwischen dem Orden und Emma hin und hergerissen ist, seine fünf doch so unterschiedlichen aber immer hilfsbereiten Schwestern. Daneben die tierischen Vertrauten aller Hexen, die ihnen bei Gefahr immer hilfreich zur Seite stehen und die – ganz anders als die schwarze Katze die Hexengestalten oftmals auf der Schulter sitzend angedichtet werden – buchstäblich in der Hexe selbst wohnen, ihren Herzen entspringen. Ebenso muss es natürlich eine Widersacherin geben, die den drei Cousinen noch zusätzlich das Leben schwer macht: Lady Daphne, Tochter des ersten Legats des Ordens, sehr begabte Hexe und perfekte Lady.
Die Jungs gehen auf die Schule Ironstone, das Eisen wird aufgegriffen, das für Hexen so wichtig ist und Schutzfunktion hat, die Mädchen besuchen Rowanstone, Hinweis auf die Vogelbeeren der Eberesche, mit denen sich Hexen ebenfalls schützen können.
Die Atmosphäre: London an sich ist schon ein magischer Ort, dass die Hexenfamilien um die es geht dort wohnen passt wunderbar. Oft werden die Leser durch den Londoner Nebel und den obligatorischen Regen geschickt, in die ärmeren Gegenden bis hin zu den Docks. Man kann die Orte förmlich sehen, spürt sich auf einem von Moiras Dächern oder von einem der Gargoyles hoch oben beobachtet, kann das Rattern der Kutschenräder hören und das Rumpeln im Inneren als deren Passagiere spüren. Das schmutzige London des 18. Jahrhunderts findet ebenso Platz wie feine Herrenhäuser und detailliert beschriebene Ballkleider und –frisuren. Dass Hexen nicht nur verschroben sein müssen und vermeintlich ärmlich wohnen müssen sondern dass es sie in allen Gesellschaftsschichten gibt macht die erzählte Geschichte noch dichter.
Dass Magie Farben und Gerüche hat, die durchaus nach dem immer wieder zitierten Schwefel auch angenehm sein können, finde ich ein wundervolles Detail dieses Buchs. So werden beim Lesen alle Sinne angesprochen. Individualität ist auch bei Hexen gefragt, so dass jede eine andere Art von Begabung hat.
Die Gestaltung: Das hellblaue Cover ist hübsch, die Eiskristalle werden bei jeder Kapitelüberschrift wieder aufgenommen. Die Schriftart der Kapitelüberschriften sowie des Titels passt herrlich zu einem Buch mit magischen Inhalt. Schon das Design unterstützt die Lesefreude. Das Mädchen auf dem Buchumschlag wirkt allerdings einen Hauch zu perfekt.
Kritisches: Es dauerte eine Weile, bis ich mich in das Buch eingefunden hatte und heraus hatte, um wen es im aktuellen Kapitel gerade geht. Die vier Teile des Buchs, deren Titel jeweils mit der Vorsilbe „un“ beginnen, hätten meiner Meinung nach nicht sein müssen, helfen lediglich den Zeitsprung der zwischen Emmas Ankunft in Rowanstone und ihrer Eingewöhnung dort zu verarbeiten. Die vielen Schreibfehler im deutschen Buch und einige holprige Übersetzungen bringen den Lesefluss immer wieder ins Stocken, was sehr schade ist. Denn eigentlich ist die Story so angelegt, dass man das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen möchte.
Dennoch möchte ich wissen, wie es weitergeht mit den drei Hexen-Cousinen. Der zweiten Band der angekündigten Lovegrove-Trilogie ist jedoch nach meinen Recherchen zunächst in der Originalsprache Englisch erschienen. Also ist ungeduldiges Warten angesagt.