Rezension

Magischer Realismus in Belfast

Firestarter -

Firestarter
von Jan Carson

Bewertet mit 4.5 Sternen

Vieles hätte ich von diesem Roman erwartet, aber nicht das, was ich letztlich bekommen habe. Sehr positiv wurde ich überrascht von den unerwarteten Inhalten des Romans der nordirischen Autorin Jan Carson.

Immer am 12. Juli eines Jahres feiern die Protestanten Nordirlands den historischen Sieg WilhelmIII. über Jakob II. Als Sieg der Protestanten über die Katholiken. Immer wieder ist es in der Vergangenheit bei den Märschen der Mitglieder des sogenannten Oranier-Ordens zu Ausschreitungen mit Katholiken und der Polizei gekommen. So auch im Roman von Jan Carson, welcher in 2014 spielt. Dort sorgt ein maskierter Unruhestifter mit Online-Videos dafür, dass schon Wochen vor dem 12. Juli die ersten Gebäude brennen. Er nennt sich der „Firestarter“, spielt im Hintergrund seiner Videos den gleichnamigen, wohl bekanntesten Song von The Prodigy ab und lässt die Gewalt immer mehr ansteigen. Sammy vermutet, dass sein Sohn hinter den Videos steckt. Zeigte der doch schon sein gesamtes Leben lang psychopathische Verhaltensweisen. Sammy, um die 50 Jahre alt, war als Jugendlicher in den 1980ern selbst einer der aggressiven Unruhestifter in Belfast. Hinzu kommt noch die Geschichte von Jonathan, welcher erst vor wenigen Wochen Vater geworden ist und ebenso mit der Gefahr, welche potentiell von seiner Tochter ausgeht, hadert.

Carson überrascht in ihrem Roman mit ganz unerwarteten Wendungen. So ist der vorliegende Roman keiner, der den Nordirlandkonflikt historisch aufarbeiten oder erklären will, er spielt ganz einfach in Belfast und hier gehören die ständigen Unruhen und die terroristischen Akte einfach zum Alltag der Menschen dazu. So beschreibt sie die „Vorbereitungen“ auf den 12. Juli mit lakonischer Art und lässt dabei immer wieder trockenen Humor durchblitzen. So wird man vielleicht, wenn man in diesem krisengebeutelten Landstrich aufgewachsen ist und nun selbst in Belfast lebt. Gerade im ersten Teil des Romans bekommen wir also einige Alltagseindrücke beschrieben. Alles andere als alltäglich sind die eingeschobenen Kapitel in Kursivdruck, die die Schicksale von ganz ungewöhnlichen Kindern mit angeborenen, übernatürlichen Fähigkeiten beschreiben. Diese Kinder leben unter den Menschen und müssen mit ihren ganz eigenen Problemen kämpfen. Jonathans Tochter scheint auch eine dieser Kinder zu sein, ist ihre Mutter doch eine Sirene gewesen. Ein weibliches Fabelwesen, welches durch ihren betörenden Gesang Männer anlockt, um sie zu töten. Die Mutter lockte jedoch Jonathan an, nicht um ihn zu töten, sondern um sich fortzupflanzen. Nun steht Jonathan mit seiner neugeborenen Tochter allein da und muss mit jedem ihrer Entwicklungsschritte befürchten, dass sie beginnt zu sprechen und damit die Bevölkerung Belfasts in Lebensgefahr bringen wird.

Carson schlüsselt durch die beiden Vaterfiguren, Sammy und Jonathan, auf, wie konfliktbeladen Vaterschaft ganz grundsätzlich, aber auch im Speziellen sein kann, wenn sich das eigene Kind als potentielle Gefahr für die Allgemeinheit herausstellt. Wie damit umgehen? Was tun als Vater, der sowohl das Beste für die Allgemeinheit aber auch für das eigenen Kind erreichen möchte? Wir folgen den beiden Protagonisten mithilfe von ganz unterschiedlichen Erzählperspektiven, die manchmal eine Ich-Perspektive sein kann, manchmal aber auch auktorial, wenn der Alltag der Bevölkerung in Belfast beschrieben wird. Letztlich fokussieren wir immer stärker auf die beiden Einzelschicksale und den entsprechenden Weg, den die Väter als Umgang mit der belastenden Situation für sich wählen. Das ist geschickt gemacht und überrascht einfach immer wieder.

Letztlich konnte mich das Ende von Sammys Erzählstrang nicht gänzlich überzeugen. Zu unplausibel erscheinen hier die Geschehnisse im Finale. Trotzdem ist der vorliegende Roman für mich die Überraschung des Jahres. Somit bekommt „Firestarter“ eine klare Leseempfehlung von mir für alle, die etwas Unerwartetes lesen möchten und gleichzeitig schon ein paar Vorkenntnisse zum Nordirlandkonflikt mitbringen, denn man sollte nicht erwarten, hier alle Zusammenhänge noch einmal erklärt zu bekommen.

4,5/5 Sterne