Rezension

Man blickt hinter die Fassade einer Legende und entdeckt einen gefühlvollen Menschen

Madame Curie und die Kraft zu träumen - Susanna Leonard

Madame Curie und die Kraft zu träumen
von Susanna Leonard

Bewertet mit 5 Sternen

"Mit den Lebensgeschichten von uns Menschen ist es wie mit Molekülen: Führt man ihnen Wärme zu, geraten sie in Bewegung und bewegen benachbarte Moleküle. Lässt man sich von der Geschichte eines anderen Menschen erwärmen und bewegen, bewegt sich die eigene Geschichte möglicherweise in eine andere, neue Richtung.“ (S. 21)

Susanna Leonhard hat dies verinnerlicht und bringt uns die gemeinhin als spröde geltende Wissenschaftlerin Marie Curie, geborene Maria Sklodowska, menschlich näher. Der Fokus liegt – wie der Titel und das Cover schon nahelegen, nicht auf der Forschung dieser außergewöhnlichen Frau (auch wenn dies im letzten Drittel eine große Rolle spielt), sondern auf ihrem Werdegang, ihren Gefühlen und Gedanken.
Maria, genannt Mania, wächst in Warschau auf – zu einer Zeit, als die Polen unter der Herrschaft der Russen standen und ihre eigene Identität als Volk unterdrückt wurde. In den Schulen musste Russisch gesprochen werden, unterrichtet wurde russische, nicht polnische Geschichte. Frauen durften in Polen nicht studieren – dafür mussten sie ins Ausland gehen, was sich die wenigsten leisten konnten. Doch viele Polen bewahrten sich ihr Erbe im Stillen. Nach außen gaben sie sich angepasst, untereinander pflegten sie polnische Traditionen. So auch Manias Familie.

So lernt Mania früh, dass sie für ihr Glück und ihre Bildung kämpfen muss. Sie ist fleißig, muss sich immer wieder aufrappeln, als sie Familienmitglieder viel zu früh verliert. Trost findet sie in ihren Schulbüchern und ihrer Begeisterung für wissenschaftliche Abhandlungen. Sie interessiert sich für naturwissenschaftliche Zusammenhänge und setzt alles daran, dass sie und ihre Schwester Bronia die Möglichkeit bekommen, nach Paris zu gehen und zu studieren.

Während des Studiums lernt Maria, die sich dort Marie nennt, ihren späteren Mann Pierre Curie kennen und lieben. Die beiden getriebenen Wissenschaftlerseelen fühlen sich einfach zueinander hingezogen, da sie sich beruflich und privat hundertprozentig aufeinander verlassen können und da sie die gleichen Ziele und Ideen verfolgen. Pierre unterstützt Marie vor und auch nach der Hochzeit in ihrer Forschung. Er wird nicht müde darauf hinzuweisen, dass seine Verdienste auch ihre sind und sie den Löwenanteil der Forschung stemmt, während er auch als Professor lehrt. Als sie gemeinsam entdecken, dass die von einem anderen Forscher beschriebene Uranstrahlung auch von weiteren Stoffen in noch größerer Intensität ausgeht, kennt ihr Forscherdrang kein Halten mehr. Doch leider bezahlen die beiden ihre bahnbrechenden Erkenntnisse mit ihrer Gesundheit…

Susanna Leonhard zeichnet das Bild einer zielstrebigen, aber auch empfindsamen jungen Frau. Dass Marie Curie seit frühester Jugend immer wieder auch mit depressiven Schüben zu kämpfen hatte, wusste ich beispielsweise nicht. Die Forscherin wird in diesem Buch sehr einfühlsam und nahbar dargestellt – ganz anders, als ich sie mir aufgrund von Zeitungsartikeln oder dem Schulwissen vorgestellt habe. Marie Curie war eben auch nur ein Mensch – mit den gleichen Gefühlen, Ängsten, Sorgen. Nur dass sie eben auch mit einer großen naturwissenschaftlichen Begabung gesegnet war, die ihresgleichen suchte. Es ist nicht überliefert und wird auch in diesem Buch nicht geklärt, ob Marie über die gesundheitlichen Risiken ihrer Forschung vollauf Bescheid wusste. Wenn ja, hat sie sie ignoriert.

Nach dem Lesen bleibt die Erkenntnis, dass man hinter die Fassade einer Legende geschaut und einen gefühlvollen Menschen entdeckt hat – eine tolle Leistung der Autorin und ein großartiger biografischer Roman!