Rezension

Man hat es ja eigentlich geahnt

Ohne Rücksicht auf Verluste -

Ohne Rücksicht auf Verluste
von Moritz Tschermak

Bewertet mit 5 Sternen

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich mich als unwissender Ossi nach Öffnung der Grenze auf Coca Cola, Ü-Eier und eben auch die Bild Zeitung gestürzt habe. Irgendwie war das Inbegriff der neuen Lebensart und sollte den bisherig ungestillten Hunger nach Informationen befriedigen. In meinem Fall ist das Interesse schnell abgekühlt, zu viel Gewalt, zu viel Sport, zu viel nackte Haut. Für meinen Geschmack zu grell, zu bunt, zu laut, zu sensationslüstern. Auch heute stehe ich der Bild sehr kritisch gegenüber. Wenn ich das Blatt berufsbedingt fast täglich in Händen halte, schüttel ich ganz oft den Kopf, bin aber leider auch manchmal von der Schlagzeile angezogen. 

Die beiden Autoren setzen sich kritisch mit dem Phänomen Bild und dem Einfluss den dieses Medium hat auseinander. Als rational denkender Mensch dürften einen die Erkenntnisse eigentlich nicht überraschen, allerdings ist man trotzdem ganz oft einfach nur sprachlos. In verschiedenste Themenbereiche unterteilt bekommt der Leser hier in kurzen Abschnitten Einblick in die Maschinerie hinter der Schlagzeile, in die zweifelhaften Methoden der Redakteure und Reporter. Es wird ungeschönt gezeigt, wie dreist hier ein Medium genutzt wird um Stimmung zu machen, wie leicht Karrieren gepuscht werden können, wie schnell man aber auch in Ungnade fallen kann. Es werden nach steretypen, austauschbaren Mustern Feindbilder kreiert, wobei es weniger um echte Fakten geht, als vielmehr darum, was möglichst reisserisch klingt. 

Erschreckend finde ich, dass teils seriöse Nachrichtendienste sich an Meldungen der Bild orientieren und diese unbesehen übernehmen. Auch ich muss mir eingestehen, dass ich die ein, oder andere Polemik schon genutzt habe, ohne zu wissen, das sie ihren Ursprung bei Bild genommen hat und letztlich auf falschen, teils erfundenen, oder aus dem Kontext gerissenen Fakten und Aussagen besteht. Die Autoren zeigen auf, wie leicht es eigentlich in Zeiten des Internets wäre diese Fakten zu überprüfen, aber der typische Bildleser macht sich diese Mühe natürlich nicht, spricht die Zeitung ihm doch meist aus dem Herzen wenn Themen wie Kriminalität, Unfähigkeit der Politik, oder Migrationsproblematik behandelt werden. Der Leser fühlt sich verstanden, eingebunden, was immer wieder durch Leseraktionen ausgenutzt wird.

Trotz sinkender Verkaufszahlen ist Bild eine der stärkste Kraft auf dem Medienmarkt und hat somit eine unglaubliche Macht. Mit dieser Macht kommt natürlich auch Verantwortung, aber davon das diese übernommen wird findet man leider nichts im Buch. Wenn nach einer Falschmeldung Kita Mitarbeiter Morddrohungen erhalten wird das billigend in Kauf genommen. Richtigstellung, oder Bemühung um Deeskalation Fehlanzeige.

Knapp die Hälfte des Buches ist mit Beispielen zur Arbeitsweise der Bildzeitung früher, aber vorallem heute gefüllt. Die andere Hälfte wird eingenommen von weiterführenden Links, hier kann der Leser noch umfangreich nachrecherchieren, den hier sind die Autoren, anders als bei Bild, um Transparenz und Wahrheit bemüht.

Das Buch regt auf, sollte aber unbedingt gelesen werden.