Rezension

„Man muss erst einige Male sterben, um wirklich zu leben.“ (Charles Bukowski)

Die Frau zwischen den Welten
von Hera Lind

Bewertet mit 5 Sternen

1945 Tschechoslowakei. Als Tochter der Deutschen Maria und dem Tschechen Jakob lebt die 11-jährige Ella Vojanová bei Großmutter Auguste und Tante Bertl in tschechischen Hillemühl, während ihre Eltern sich in Zahořany nähe Prag auf die Geburt ihres Bruders Alex vorbereiten. Nachdem der Krieg verloren ist und Deutschland kapituliert hat, wird in der Tschechoslowakei „aufgeräumt“, vor allem Deutsche sind von nun an unerwünscht und werden dementsprechend auch mit aller Härte behandelt. Nach dem Verlust des Hauses und Ladens ihrer Großmutter kommt Ella bei ihren Eltern in Prag unter, doch auch dort ist die Familie nicht mehr sicher, nachdem der Vater brutal ermordet wurde. Während die politische Richtung im Land immer wieder wechselt, muss Ella nicht nur grausame Repressalien gegen ihre Familie erleben, flüchten und die harte Zeit im Kloster Kutná Hora sowie einen übergriffigen Ehemann über sich ergehen lassen, sondern fühlt sich auch verantwortlich für ihre Mutter, ihren Bruder und vor allem für ihre Tochter. Wird sie jemals der Verfolgung entfliehen können und das Glück finden?

Hera Lind hat mit „Die Frau zwischen den Welten“ einen hochemotionalen und spannenden historischen Roman mit biografischen Zügen vorgelegt, in dem sie in eigenen Worten und mit fiktionaler Freiheit das ereignisreiche Leben von Ella Berner, geborene Vojanová nachzeichnet und ihrem Leser präsentiert. Der flüssige, bildgewaltige und einfühlsame Erzählstil lässt den Leser eine Zeitreise antreten, um zu Kriegsende 1945 die kleine Ella kennenzulernen und ihr Schicksal hautnah mitzuverfolgen. Durch intensive plastische Beschreibungen setzt die Autorin im Kopf des Lesers eine Flut von Bildern in Gang, die Ellas Märtyrium regelrecht greifbar machen, während man sich aufgrund der schockierenden und dramatischen Ereignisse in einem andauernden Wechselbad der Gefühle befindet. Der gut recherchierte gesellschaftliche und politische Hintergrund wurde von der Autorin sehr gekonnt mit ihrer Handlung verknüpft. Wie Menschen durch politische Machenschaften zur Zielscheibe wurden, wird hier einmal mehr sehr verdeutlicht, denn als Kind aus einer Ehe verschiedener Nationalitäten gehörte man damals nie wirklich dazu und musste als Spielball für ihre Rachegelüste herhalten. Als Leser mag man sich gar nichtausmalen, wie viele Menschen diesen Methoden ausgeliefert waren, für die Ellas Geschichte stellvertretend steht. Der Spannungsbogen liegt durchgängig auf einem hohen Niveau, steigert sich aber im Verlauf der Handlung immer mehr in die Höhe, so dass der Leser das Buch nicht aus der Hand legen kann.

Die Charaktere wurden lebendig in Szene gesetzt, besitzen aufgrund ihrer sehr menschlichen Eigenschaften Authentizität und Glaubwürdigkeit. Der Leser ist nicht nur Statist, sondern fühlt sich Ella so nah, dass er ihre Schicksalsschläge fast ebenso spürt und mitleidet, mitfiebert und hofft, dass sie endlich auch etwas Glück im Leben hat. Ella ist eine sehr präsente Protagonistin, die schon früh Verantwortung übernimmt, immer wieder ihre Kräfte mobilisiert, um Widerstand zu leisten und die nächste Hürde zu überwinden. Sie ist ein warmherziger Mensch, der nie aufgibt und durch die Unwägbarkeiten des Lebens immer stärker wird. Ehemann Pavel ist ein schrecklicher Kerl, der nur an sich denkt und die Hölle verdient hätte ebenso wie Tante Irma. Der jüdische Arzt Milan besitzt Herz und Verstand, spendet Wärme und Geborgenheit.

„Die Frau zwischen den Welten“ ist nicht nur eine eindrucksvolle Lebensgeschichte, die an Dramatik und Emotionalität fast nicht zu überbieten ist. Sie zeigt leider auch, zu welchen Grausamkeiten Menschen fähig sind und wieviel Mut und Stärke nötig sind, um diese zu überleben. Eine berührende und aufwühlende Geschichte, die noch lange nachklingt. Absolute Leseempfehlung!