Rezension

„…manchmal ist die Übertreibung näher an der Wirklichkeit als die Wahrheit.“

Der Wal und das Ende der Welt - John Ironmonger

Der Wal und das Ende der Welt
von John Ironmonger

Bewertet mit 5 Sternen

„…manchmal ist die Übertreibung näher an der Wirklichkeit als die Wahrheit.“ S. 10

St. Piran an der Küste Cornwall ist mehr Dörfchen als Dorf, kaum jemand verirrt sich hierher. Doch an einem Tag wurden aus den 307 Einwohnern 308 Einwohner, es war im Oktober oder September, an einem Mittwoch oder Donnerstag, als einige der Einwohner am Strand einen Wal sichteten und den nackten Mann fanden. Der Teenager Charity Cloke war dabei mit ihrem Hund und der Strandgutsammler Kenny Kennet, und der am Strand gefundene Mann namens Joe änderte schon vom ersten Moment an etwas im Ort.
Doch Joe ist derjenige, dessen Namen sie aus einem Hut gezogen haben bei der Investmentbank, für die er arbeitete. Und jetzt ist er da und wird ein Versprechen erfüllen, das er gegeben hat.

Okay, das hier ist so einiges: Gesellschaftskritik (Leerverkäufe, sinnentleerte Jobs, Just-in-time-Produktion), Dystopie für diejenigen, die sonst nie Dystopien lesen, Märchen, philosophische Diskussion, Liebesgeschichte. Das ist leicht zu lesen, der Ton ist ähnlich wie bei Lekys „Was man von hier aus sehen kann“ oder der Film „Der Engländer, der auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam“ (bei der Frage nach Cappuccino dachte ich noch an „Und täglich grüßt das Murmeltier“). Alles ist etwas skurill, mit vielen kauzigen Charakteren. Die Zeitebenen wechseln, da ist das „Jetzt“, dann kurze Rückblicke in Joes hektisches Leben als Analytiker einer Investmentbank, gut durch den Stil verdeutlicht, weitere Rückblenden zu Joes Jugend, kurze Sprünge in die Zukunft, zu dem Fest, in dem man sich ans Jetzt erinnert. Das alles sehr geschickt, man bekommt das gut mit, die Ebenen entwickeln sich aufeinander zu; auch die riesige Personenzahl bekommt man überraschend gut hin.

Was so ein bisschen, hm, zweischneidig ist: das gleitet ganz schon ins Gefühlvolle auf den letzten Seiten, mit Weihnachtsliedern, großem Dorffest, Überraschungsbesuchern und sehr viel Zucker, äh, Tran. Das ging gerade noch so, weil der Rest so schön ist und weil ich genau der „Nicht-Dystopie-Leser“ bin, zu düster. Tut mir leid, düster im Hier und Jetzt vertrage ich, eine düstere Zukunft nicht. Das ist sicher auch ein perfektes Buch zum Verschenken, passend vor allem für Weihnachten, auch hören würde ich das gerne. Leicht, ohne belanglos zu sein.

5 Sterne.