Rezension

Manchmal täuscht die Erinnerung

Eine bittere Wahrheit
von Nicci French

Bewertet mit 4.5 Sternen

Tabitha Hardy ist eine eher ruhige, zurückhaltende Frau, die auch sehr zurückgezogen lebt. Seit kurzem lebt sie wieder in Okeham, einem idyllischen Dorf an der englischen Küste, in dem sie aufgewachsen ist. Vor vielen Jahren ist von dort weggezogen und hatte auch später nie das Bedürfnis, wieder herzukommen. Aber jetzt, etliche Jahre später sehnt sie sich nach einer gewissen Ruhe, die sie hier zu finden hofft.

Tabitha gehört zu den Menschen, die gerne für sich sind, die sich selbst als Gesellschaft genügen. Sie macht gern lange Spaziergänge, schwimmt im Meer und arbeitet an dem sehr baufälligen, aber preiswerten Haus, dass sie kürzlich in Okeham erworben hat. Die Einheimischen wundern sich zwar etwas über sie, respektieren aber ihren Wunsch nach Einsamkeit - hier hat ohnehin jeder mit sich und seinem Leben genug zu tun.

Unschuldig?

Doch dann wird der leblose Körper ihres Nachbar Stuart Rees, in Plastikfolie eingewickelt, in Tabithas Garten gefunden. An diesem Punkt, oder vielmehr mit der Einlieferung ins Gefängnis, lerne ich Tabitha Hardy kennen. Ich finde sie recht unzuverlässig, ein bisschen flatterhaft und ziemlich unnahbar, also schon irgendwie recht unsympathisch. Sie hat keine Erinnerung daran, Stuart getötet zu haben, aber sie kann sich das einfach nicht vorstellen,

Eigenverantwortung

Tabitha grübelt ständig über alles, was sie vom fraglichen Tag weiß nach. Die einzige Straße zum Dorf - und damit auch aus dem Dorf hinaus - war von einem umgestürzten Baum blockiert. Aber wirklich mehr will ihr nicht einfallen und ihr Anwalt macht überhaupt keine Anstalten irgendwas hilfreiches zu ihrer Lage beizutragen. In einem Anfall grenzenloser Wut und Hilflosigkeit feuert sie den Anwalt und beschließt, sich selbst zu verteidigen.

Wandlung

Von diesem Moment an beginnt Tabitha scheinbar aufzublühen und ich gerate immer mehr in ihren Bann. Sie arbeitet mit viel Leidenschaft daran, wirklich aufzuklären, was passiert ist und lässt sich von diversen Rückschlägen nicht aufhalten. Tabithas Hintergrundgeschichte wird immer wichtiger, denn sie und  Stuart kannten sich schon lange vor Tabithas Rückkehr ins Dorf. Stück für Stück beginnt sie, zusammenzusetzen, was an diesem schicksalhaften Tag tatsächlich passiert ist. Ihr unorthodoxes Vorgehen dabei sorgt auf jeden Fall für eine unterhaltsame Lektüre.

Prozessvorbereitung

Manches ist sicher etwas vorhersehbar und schon ein Stück weit klischeebehaftet. Die Aufseher im Gefängnis sind immer böse, die Insassen sind immer gewalttätig - darüber habe ich aber hinweg gelesen, auch wenn der Teil der Prozessvorbereitung schon sehr lang und ausufernd war. Ich war gespannt auf den eher in festen Regeln verlaufenden britischen Mordprozess und wurde nicht enttäuscht.

Der Prozess

Der Prozess hatte dann ein bisschen was von einer wirklich tollen Kinovorstellung - nur das Popcorn fehlte mir. Hier kann Tabitha zeigen was wirklich in ihr steckt und ihren Fall darlegen, was sie sehr professionell, sehr wortgewandt und mit viel Gelassenheit erledigt. Fasziniert war ich, wie immer, von den Unterschieden zu unserer Rechtsprechung - beides hat sicher seine Berechtigung, aber beides hat auch so seine Tücken. Mir hat das auf jeden Fall viel Spaß gemacht und ich werde euch das Urteil sicher nicht verraten ...

Mein Fazit:

Eine bittere Wahrheit  von Nicci French ist ein wirklich spannendes Gerichtsdrama im Stile von John Grisham oder Steve Cavanagh. Der Anfang zieht sich ein bisschen, aber irgendwann macht die Geschichte einen beinahe süchtig.