Rezension

Marschmädchen

Der Gesang der Flusskrebse - Delia Owens

Der Gesang der Flusskrebse
von Delia Owens

Bewertet mit 4.5 Sternen

Eines Morgens im Jahr 1950 zieht sie die Schuhe aus Krokodillederimitat an und verlässt das Haus. Die damals sechsjährige Kya sieht ihre Mutter nie wieder und nach und nach verschwinden auch ihre Geschwister. Das kleine Mädchen bleibt mit dem mitunter gewalttätigen Vater allein. Es gibt auch gute Tage, doch bald ist auch der Vater fort. Fortan lebt Kya allein in der Marsch, sie will nicht in ein Heim und sie schafft es, den Behörden immer wieder zu entwischen. Hilfe hat sie hin und wieder von dem wenig älteren Tate, der ihr schließlich auch das Lesen und Schreiben beibringt. Und das Wenige, was sie zu verkaufen hat, bringt sie in den Laden von Jumpin’, einem liebenswerten Schwarzen.

 

Als im Jahr 1969 der Platzhirsch des Ortes Chase Andrews tot aufgefunden wird, weiß man nicht, ob es der Beginn, das Ende oder die Mitte der Geschichte ist. Um seinen Tot ranken sich viele Rätsel. Wichtiger ist jedoch wie das Marschmädchen Kya aufwächst. Immer wieder allein gelassen und verlassen schlägt sie sich durchs Leben. Um weitere Enttäuschungen zu vermeiden, verbringt sie die meiste Zeit allein in der Marsch. Sie hat das Zeichentalent ihrer Mutter geerbt und  verwendet es, um das Leben in der Marsch in Bildern wiederzugeben. Außerdem legt sie Sammlungen von Flora und Fauna an, eine Katalogisierung, die ihres Gleichen sucht und doch im Verborgenen bleibt. Ohne Freunde, ohne Komfort, aber dennoch eine gewisse Zufriedenheit strahlt Kya aus. Aus der Not heraus hat sie gelernt, aus dem Wenigen, was sie hat, Freude zu schöpfen.

 

Was für ein Buch. Nachdem man es beendet hat, muss man erstmal durchatmen und es ein wenig sacken lassen. Wenn man diese Art von Büchern mag, die sich Menschen, die aus der Gesellschaft gefallen zu sein scheinen, liebevoll widmen, wird man hier ein echtes Kleinod finden. Ein Debütroman, der seines Gleichen sucht. Beim Lesen fühlt man sich in die Marsch hineinversetzt, egal ob man dabei ein Bild aus Amerika vor Augen hat oder auch eines der heimatlichen Marschlandschaften, man spürt die Einsamkeit der Landschaft und die des Mädchens. Man fragt sich, woher die Kleine die Kraft und das Durchsetzungsvermögen nimmt, um zu überleben. Der Wunsch, jemand möge sich ihrer annehmen, sie aufnehmen, ihr ein zu hause geben, bleibt ziemlich unerfüllt, Die Enttäuschungen wiegen doch zu schwer, das zaghaft aufgeflackerte Vertrauen, wird herbe niedergedrückt. Und doch bewundert man Kyas starke Persönlichkeit, sie gibt nicht auf, in ihrem Rahmen schafft sie sich ein Reich der Wärme und Ruhe. Zeit ihres Lebens bleibt sie das Marschmädchen und findet ihre Erfüllung.