Rezension

Mathematik kann begeistern

Das Geheimnis der Eulerschen Formel - Yoko Ogawa

Das Geheimnis der Eulerschen Formel
von Yoko Ogawa

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein ehemals begnadeter Mathematikprofessor erinnert sich seit einem Verkehrsunfall im Jahre 1975 abgesehen an die zeit davor nur noch an die jeweils vorausgehenden 80 Minuten. Zur Orientierung heftet er zahllose Zettel mit wichtigen Informationen an seine Kleidung. Er lebt zurückgezogen und ganz der Mathematik verschrieben in der Obhut seiner verwitweten Schwägerin, die für ihn mit der Ich-Erzählerin die nunmehr zehnte Haushälterin einstellt. Diese und ihr von ihr allein erzogener zehnjähriger Sohn kommen dem Professor über die faszinierende Welt der Mathematik und Baseball als seiner zweiten Leidenschaft näher. Durch die Schwägerin tun sich dann allerdings wiederholt Veränderungen auf.

 

Die Mathematik spinnt sich wie ein roter Faden durch die gesamte Geschichte. Zahlen, Formeln, mathematische Grafiken, Zahlenspiele werden immer wieder eingestreut. Das geschieht auf recht anspruchsvolle Weise. Wer weiß etwa, dass 220 und 284 befreundete Zahlen sind, weil die Summe ihrer Teiler jeweils die andere Zahl ergibt? Dank der liebevollen und hingebungsvollen Erklärungen des Professors kann aber auch jemand, dem die Mathematik von der Schulzeit an eher ein Gräuel ist, dem Ganzen gut folgen. Da ergeht es einem so wie der Haushälterin, die sich für die Wunder der Mathematik richtiggehend zu begeistern anfängt.

 

Im Laufe der Geschichte tritt die Mathematik zunehmend gegenüber dem wichtiger werdenden Baseball zurück. Diese Sportart hat ja eigentlich auch viel mit Zahlen zu tun. Auffällig ist, dass der Text zum Ende hin nicht mehr so präzise durchstrukturiert ist, es etwa zu Zeitsprüngen kommt. Vielleicht soll das aufzeigen, dass sich auch das Leben des Professors neu ordnet.

 

Erzählt wird aus der Ich-Perspektive der Haushälterin. Diese ist genau wie die übrigen Romanfiguren namenlos. Das führt aber keineswegs dazu, dass sie unpersönlich oder unnahbar erscheinen. Im Gegenteil, alle Charaktere sind auf ihre Art liebenswert und sympathisch. Der vergessliche, sehr kluge, väterliche Professor, die menschliche und geduldige Haushälterin, ihr rücksichtsvoller Sohn.

 

Am Ende der Lektüre wird sich dem Leser die wohl noch einige Zeit nachhallende Frage   stellen, was von einem Menschen bleibt, wenn er die Erinnerung verliert. Im vorliegenden Falle ist es auf jeden Fall Freundschaft.

 

Ein faszinierender, unbedingt zu empfehlender Roman. Schade, dass die deutschen Leser ihn erst zehn Jahre nach seinem Erscheinen in Japan lesen dürfen.