Rezension

Mean Time to Repair

MTTR -

MTTR
von Julia Friese

Bewertet mit 5 Sternen

„Ich halte mich an der Brüstung fest. Die Ampel an der Kreuzung steht genau drei Sekunden auf Gelb. Es geht jetzt nicht mehr um dich, Teresa.“ (70)

Als Teresa - eine typische Großstadt-Millenial - schwanger wird, gerät sie in ein Rollenbild, das zwar überholt ist, aber immer noch in unserer aller Köpfe steckt. Sie selbst pflegt kein gutes Verhältnis zu ihren Eltern, lebt ihr eigenes Leben mit ihrem Partner Erk zusammen. Auf keinen Fall will sie in den Strudel der gesellschaftlichen Zwänge geraten, in dem sie selbst und ihre Eltern groß geworden sind. Sollte sie also überhaupt Kinder kriegen? Und das alles wiederholen, womit sie selbst nichts mehr zu tun haben möchte? 

Ihre Schwangerschaft ruft dann tatsächlich umgehend all diese Geister. Ihre und Erks Eltern hatten und haben noch den Erziehungsgeist einer Johanna Haarer in Köpfen, die in Nazideutschland Ratgeber für junge Mütter schrieb und deren Bücher bis in die Achtziger neuaufgelegt wurden. Dieses Gedankengut hat also auch unsere Millenial-Generation noch durch Erziehung mitgegeben bekommen. 

Selbst wenn man alles anders machen möchte als die eigenen Eltern, so ganz wird man seinen familiären Background meist nicht los. Auch wird man als werdendes oder frischgebackenes Elternteil häufig genau durch diese Brille beurteilt. Denn plötzlich steht die Großelterngeneration wieder auf der Matte, mit vielen gutgemeinten Ratschlägen.

Ich bin auch aus Teresas Generation und Mutter. Beim Lesen von MTTR hatte ich das Gefühl, dass Julia Friese meine Geschichte erzählt. All diese (teils subtilen und unausgesprochenen) Vorwürfe und gesellschaftlichen Erwartungen an junge Eltern und vor allem Mütter. All die problematischen und gefühlskalten Beziehungen zu den eigenen Eltern. MTTR deckt sie auf, spricht sie an. Ich wünschte, dass dieses Buch einige Jahre eher erschienen wäre, denn ich selbst hatte vor ein paar Jahren das Gefühl, sehr alleine mit dieser Wahrnehmung dazustehen. Möge die Schwarze Pädagogik endlich aus unserer Welt verschwinden. Ein Buch wie MTTR ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Ein großartiges Buch mit einer schonungslosen Erzählstimme. Von Julia Friese werden wir bestimmt noch häufiger hören.