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Feuererwachen (Bd. 1) - Rosaria Munda

Feuererwachen (Bd. 1)
von Rosaria Munda

Bewertet mit 5 Sternen

Ich bin bekennender Romantasy-Fan, sagte sie. Ich bin unsicher, ob das was für mich sein könnte, sagte sie. Und sie wurde eines Besseren belehrt.

 

Von „Feuererwachen“ hatte ich im Vorfeld die Erwartung, es würde eventuell politisch werden, düster und vielleicht etwas zu unpersönlich, wie ich es oft bei reinen Fantasy-Büchern empfinde. Dort gibt es häufig für meinen Geschmack zu viele Figuren, viele Intrigen, viele Wendungen und das über viiiiele, viele Seiten. Auch wie die Beziehung zwischen Annie und Lee aussieht, wusste ich nicht, ich konnte anhand des Klappentextes absolut nicht einschätzen, ob irgendwo in diesem Buch die typische Liebesgeschichte zwischen den Protagonisten auftauchen würde, die ich normalerweise so gern habe.

Doch nach den ersten Seiten war mir das alles völlig egal.

 

Es begann damit, dass ich sehr erfreut feststellte, dass Lee und Annie aus ihren Ich-Perspektiven berichten und das abwechselnd. Mir persönlich ist diese Erzählweise die liebste, da man so eine engere Beziehung zu den Figuren aufbauen kann und durch die Wechsel zusätzlich Bewegung in die Geschichte kommt. Außerdem waren die Einblicke in die Gedanken und Gefühle der beiden oft so bewegend und aufschlussreich, dass ich der Autorin regelrecht dankbar bin dafür, dass sie diese Erzählperspektive für ihre Protagonisten ausgewählt hat. Sowohl Annie als auch Lee haben eine erdrückende und teils gemeinsame Vergangenheit, in der sich dunkle Geheimnisse tummeln, die die beiden regelmäßig heimsuchen und durch diese unmittelbare Nähe zu den Figuren konnte man direkt daran teilhaben.

 

Generell sind die Figuren in diesem Buch etwas Besonderes. Fast alle, auch die Nebenfiguren, haben einen einzigartigen, detaillierten Charakter auf den Leib geschrieben bekommen und verleihen der Geschichte dadurch Farbe, doch was sie wirklich lebendig macht, ist die Wandlung, die sie durchmachen. Bei Annie ist diese Entwicklung am deutlichsten sichtbar, was einer der Gründe ist, die sie zu meiner Lieblingsfigur machen.

 

Man lernt Annie als relativ schüchternes aber vor allem in gesellschaftlichen Situationen unsicheres Mädchen kennen. Sie weiß nie, wie sie sich verhalten soll, wie es angemessen wäre und da sie zu großen Teilen in einem Waisenhaus aufgewachsen ist und dann zur Drachenreiterin in ein komplett neues Leben erwählt wurde, kann ich ihre Unsicherheit auch mehr als gut verstehen. Da ich mich selbst genau so ungern im Rampenlicht befinde wie Annie, hatte ich sofort einen Draht zu ihr, der auch im Laufe der Geschichte nie abgerissen ist, selbst als sie zusehends selbstbewusster wurde, angefangen hat, für sich selbst einzutreten und allen Zweiflern und Kritikern die Stirn zu bieten. Ihre Wandlung von der kleinen Maus zur mutigen, jungen Frau hat mir imponiert und es tat so gut zu sehen, wie sie langsam aber sicher immer weiter aufgeblüht ist und endlich mal an sich selbst gedacht und vor allem auch geglaubt hat.

 

Lee ist ihr Gegenstück, der Ruhepol. Der stets gut vorbereitete, wohl angepasste und selbstbewusste junge Mann, der einfach in allem gut ist und generell irgendwie zu perfekt ist, um wahr zu sein. Aber nicht auf eine träumerische, kitschige Art und Weise, sondern eher auf eine bodenständige, realistische. Man erfährt schon im Klappentext, dass hinter dieser makellosen Fassade ein mühsam behütetes Geheimnis steckt, und Lees Verhalten vielleicht mehr ist als bloßes Training. Böse Zungen würden sagen, es liegt ihm einfach im Blut.

Doch er musste in diesem Buch mehr Opfer bringen als alle anderen. Sein Wille und seine Treue wurden auf eine Weise gefordert, wie sie grausamer kaum sein könnte und dieser loyale, tapfere, liebenswerte Mann hat sich meinen größten Respekt dafür verdient, dass er daran nicht zerbrochen ist. Vielleicht noch nicht.

 

Natürlich wurde es auch politisch, und das gar nicht mal so wenig. Doch es wurde alles so ausführlich erläutert, dass ich problemlos mitgekommen bin, im Notfall hätte auch ein Glossar am Ende des Buches Abhilfe schaffen können, auch was die Namen der Drachen betrifft.

Mit denen hatte ich allerdings so gar keine Probleme, da die fast immer mit den Namen ihres Besitzers im Zusammenhang verwendet werden und so perfekt zugeordnet werden können.

Einzeln für sich, wild sozusagen, tauchen die Drachen in der Geschichte zwar nicht auf, was ihnen allerdings nicht den Charakter nimmt. In Luftkämpfen und im Umgang mit ihren Reitern merkt man erstens deutlich, wie verschieden die Tiere sind, zweitens aber auch, wie nah sie ihren menschlichen Freunden stehen. Sie leben und sterben zusammen, und wenn nicht körperlich, dann zumindest seelisch.

 

Dieses Buch zu lesen hat sich angefühlt, als hätte man eine ganze Buchreihe verschlungen. Es ist so viel passiert auf verhältnismäßig so wenig Seiten, aber nicht auf eine schlechte, überladene Art und Weise. Während des Lesens haben sowohl die Figuren als auch die Geschichte an sich eine so große Wandlung durchgemacht, dass ich tatsächlich das Gefühl hatte, ich hätte gerade eine mehrteilige Saga beendet anstatt nur ein einzelnen Buch, dessen Lektüre mich gerade mal drei Tage gekostet hat. Ich war gefangen in Callipolis, habe gelitten und mich gefreut, mitgefiebert und die ganze Welt verflucht, war entsetzt und begeistert zugleich. Die Story hatte einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte und der all meine Bedenken zerstreut hat.

 

Mein Fazit:

Ich habe selten in einem Buch gleichzeitig so stark geliebt und gehasst wie in diesem. Die Figuren sind unbeschreiblich gut ausgearbeitet, das Worldbuilding ist grandios und die Geschichte hatte mich von der ersten bis zur letzten Seite in ihrem Bann. Ein großes Muss für alle Fantasy- und Drachen-Fans. Ich bin bereit für Band 2 und vergebe volle 5 von 5 Sternen!