Rezension

Mehr als zweifelhaftes Vergnügen

Whisky für drei alte Damen oder Wer geht denn hier am Stock? - Minna Lindgren

Whisky für drei alte Damen oder Wer geht denn hier am Stock?
von Minna Lindgren

Bewertet mit 2 Sternen

Liebe Minna, 
ich habe dein Buch „Whisky für drei alte Damen“ gelesen. Und da ich nicht lange drum herum schreiben will, sage ich es lieber gleich offen: Ich habe es nicht zu Ende gelesen. Bis Seite 281 (von 351) bin ich gekommen, dann war meine Kraft aufgebraucht. Das ist nicht schön. Ein Buch nicht auszulesen. Ein Buch, für das du dir so viel Zeit genommen hast, das dich sicher so viel Kraft gekostet hat. Aber ich konnte einfach nicht weiterlesen, auch nicht mehr die nur noch 70 Seiten. 
Es tut mir leid. Ich habe mir etwas anderes vorgestellt. Das Buch hat so ein freundliches Cover. Blau und grau, eine schwungvolle Titelschrift und alles passend verziert mit blauen Blüten. „Vergiss mein nicht“-Blüten, um genau zu sein. Sicher mit Bedacht gewählt. Aber das Cover mit der Zeichnung einer resoluten Dame samt Fuchspelz und hochhackigen Schuhen, da hatte ich einfach eine andere Idee vom Buch. Und der Klappentext, liebe Minna, der ist - ganz offen gesagt - auch nicht eben hilfreich. Da wird etwas über den Humor der drei alten Damen geschrieben, die sich in das verrückte Abenteuer stürzen, eine WG zu gründen. Irgendwie fühlte ich mich an den Hundertjährigen erinnert, der aus dem Fenster stieg und der mich grandios unterhalten hat. Das haben Siiri, Anna-Liisa und Irma nicht geschafft. Bis auf ganz wenige, sehr seltene Momente, in denen sich zumindest ein kleines Lächeln auf meine Lippen stahl. Sehr selten. Für 281 Seiten zu selten. 
Es ist sicher meine Schuld. Vielleicht ist es eine kulturelle Sache. Vielleicht sprecht und schreibt Ihr in Finnland offener, kühler über das Sterben, Sterbehilfe und das Leiden. Minna, du bist nur ein Jahr jünger als ich. Ich bin mir sicher, du denkst auch ab und an mal , wie ich, an dein Ende. Wie es sein wird, wie selbstbestimmt dein Ende sein wird. Ob du im Kreise lieber Menschen gehen kannst, wach und bewusst oder... 
Ich selbst neige der Ansicht Joanne K. Rowlings zu, nach der für einen gebildeten Geist der Tod nur das nächste große Abenteuer darstellt. Ich möchte es gern glauben. Und zumindest habe ich mir fest vorgenommen, mein Leben auszukosten, so viele positive Spuren wie möglich zu hinterlassen und den letzten Gang erhobenen Hauptes anzutreten. Ich möchte am frühen Abend gehen, im Frühling, unter einem Apfelbaum, mit einem Buch in der Hand. Ob das allerdings so sein wird, das habe nicht ich allein zu entscheiden. Das Schicksal verspricht viel und hält oft wenig. Vielleicht, liebe Minna, hast du an bestimmten Tagen auch schon einmal darüber nachgedacht, wie deine letzten Tage aussehen werden? 
Ich bin sicher, du hast es getan. Denn du hast über die letzten Tage deiner Protagonisten geschrieben. Es war schwer, diese Absätze, diese Seiten zu lesen. Diese Seiten, die vom Abschied erzählen. Von einem elenden Abschied, von einem kalten Ende in einem so kalten Gesundheitssystem, dass mir die Finger an den Seiten festfroren. Man muss darüber schreiben! Über Altenpfleger*innen, die durch Zeitvorgaben so mitleidlos geworden sind wie die Metzger in Schlachthöfen. Man muss über Altenheime sprechen, die Menschen ihrer Würde und ihrer Erinnerungen berauben, sie zu einer Ware degradieren, die je nach Gewinnkalkül hin und her geschoben werden. Man muss das tun. Aber man muss die Menschen, die das ängstigt, nicht als debile Alte darstellen, die wie hospitalisierte Papageien immer die gleichen Sätze wiederholen. Man muss Figuren, denen man das Schicksal eines dahinsiechenden Partners mitgibt, nicht noch ihre Würde nehmen. Sie ins Lächerliche ziehen. 
Man muss das nicht tun. Und ich muss das nicht lesen.