Rezension

mehr erhofft, trotzdem gut

Im Swing gegen den Gleichschritt - Wolfgang Beyer, Monica Ladurner

Im Swing gegen den Gleichschritt
von Wolfgang Beyer Monica Ladurner

Bewertet mit 3.5 Sternen

Ich liebe Swing und bin voller Hochachtung für den Widerstand im 3. Reich. Welch ein Mut, zu seiner Musik zu stehen und dies auch öffentlich durch Frisur und Kleidung zu demonstrieren !  Die Jugendlichen verweigerten sich dem erzwungenen Gleichschritt und leisteten einen zivilen Ungehorsam, der für viele  mit Jugend-KZ, Fronteinsatz oder mit Hinrichtung endete. Angeregt durch den Film Swing Kids, war ich sehr neugierig auf dieses Buch. 

Es wirkt teilweise etwas langatmig, weil ich viele der genannten Leute, Musiker, Kulturdezernenten und Politiker nicht kenne, sehr viel zitiert wird (Zeitzeugen, politische Reden, Propagandaschriften, alte Dokumente, Zeitungsartikel etc).und ich Schwierigkeiten habe, der damaligen Ausdrucksweise zu folgen. z.B. S. 74 , wo irgendeine Vorschrift zur Entwicklung eines einheitlichen Tanzwesens zitiert wird " Auch der Tänzer muß zuerst auferbaut sein als deutscher Mensch und eingebaut sein in die nationalsozialistische Bewegung. Nicht nur äußerlich, sondern als ganzer Mensch mit Wollen, Denken und Fühlen..." oder S. 83 die Warnung eines lilientreuen Tanztheoretikers an seine Genossen :" ... besonders wichtig ist die Beachtung der Gebärde, die der Tanzende im Volks- oder Gesellschaftstanz vollzieht, da hier, wenn nicht das unserem Volkscharakter  Entsprechende herrscht, eine Verwandlung in einen fremden Charakter unerlässlich vollzogen wird und das Wesen des Menschen, wenn auch nur für kurze, aber durch die rhythmische Lockerung um so mehr aufgeschlossenere Zeitspanne, verfärbt."

Dennoch ist dieses Buch interessant und wichtig. z.B. wird deutlich, dass die Nazis ihre Ver- und Gebote nicht nur aus ideologischer Überzeugung erließen, sondern auch wirtschaftliche Gründe eine solch große Rolle spielten, dass man sich die Verbote dann wieder zurecht bog. z.B. wurde das Saxophon zunächst verboten, weil es klinge "wie der Gesang eines kastrierten Negers ". Als aber die deutschen Instrumentenhersteller finanzielle Einbußen befürchteten, hieß es plötzlich, es sei ein arisches Instrument (zwar erfunden von einem Belgier, der mit Vornamen Adolphe hieß, aber da wurde schnell ein deutscher Adolf draus gemacht). 

Faszinierend fand ich den Einfallsreichtum der Swing und Jazzfans, um an die Musik zu kommen, denn man konnte nach 1941 nirgendwo mehr entsprechende Platten kaufen. Es wurde heimlich Rundfunk vom Feind gehört und die Musik dann auf Röntgenfolie gespielt. Die Jazzfans des Krankenhauses haben Röntgenbilder von z.B. Lungen rausgeschmuggelt, die man dann verwendet hat. Abgehört werden konnten diese Folien nur mit Bambusnadeln, da Metallnadeln die Folien zerstört hätten. Den Bambus holte man sich von alten Angeln und schärfte ihn an Schleifmaschinen. (S 131)

Also trotz einer gewissen Langatmigkeit, Ausführlichkeit und dröger Zitate ein interessantes Buch, dass die Swingszenen in Österreich, Deutschland, Tschechien und Frankreich beleuchtet und ihnen ein Denkmal setzt. Angereichert mit Bildern und einem Glossar ist es ein empfehlenswertes Buch für Kenner der Szene, Historiker und andere Interessierte. Für Leser, die sich nicht für dieses spezielle Gebiet interessieren eher nicht.