Rezension

mehr Hype als Sein

Twitterature - Emmett Rensin, Alexander Aciman

Twitterature
von Emmett Rensin Alexander Aciman

Bewertet mit 2 Sternen

Vorteile: witzige Idee... Nachteile: ...nicht ganz so witzig umgesetzt

Eigentlich hatte ich mich ja immer gegen Twitter gewehrt, aber irgendwann bin ich dann doch dort gelandet - allerdings zu 90% nur wegen den Gewinnspielen. Kurz danach las ich in einer Zeitschrift eine kleine Notiz zu dem Buch "Twitterature", was ich ganz witzig fand. Also landete es irgendwann in meinem virtuellen Warenkorb. Bei amazon.co.uk habe ich 4.76 Pfund bezahlt, was "damals" unter 6Euro waren.

DIE AUTOREN
Emmett L. Rensin und Alexander Aciman sind Studenten an der University of Chicago. Alex hat einige Essays bei der New York Times geschrieben, Emmett bei der Huffington Post. Beide waren 19 als "Twitterature" herauskam. Es ist ihr erstes und bislang einziges Buch, deswegen gibt es kaum Infos über sie.

http://www.twitterature.us/uk/authors.htm
Ihre Twitter-Accounts: https://twitter.com/acimania & https://twitter.com/revemmettrensin

TWITTER
Mittlerweile sollte jeder dieses soziale Netzwerke zumindestens mal gehört haben. Wer alles genau nachlesen möchte, der schaut am besten mal bei Wikipedia rein: http://de.wikipedia.org/wiki/Twitter
Wichtig ist zu wissen ist, dass eine Nachricht maximal 140 Zeichen beinhalten kann, was mir persönlich einfach viel zu kurz ist.

DAS BUCH
Maße: ca. 18 x 11 x 1 cm
Schriftgröße (Tweets): etwa 2mm
Seitenanzahl: 146 (inkl. Glossary + Acknowledgements) plus dreieinhalb Seiten Introduction
Erscheinungsdatum: 5. November 2009

VERLAG
Penguin Books Limited
80 Strand
London WC2R 0RL
England
www.penguin.co.uk

Was ich ganz witzig fand, war die erste Seite. Sobald man nämlich ein englisches Buch aufschlägt, wird man von Dutzenden Rezension erschlagen, die das vorliegende Buch in den höchsten Tönen loben. Hier waren es nur 4 - und sehr vernichtend, z.B. "A tool to aid the digestion of great literature" (Guardian), was den Verfall der großen Literatur durch so ein Buch und Twitter anprangert. Eigentlich keine Werbung für "Twitterature", aber es festig die Grundstimmung: Bloß nichts ernst nehmen!
Nachdem dann die Autoren vorgestellt und die üblichen Buchinfos ihren Platz gefunden haben, erreichen wir die Widmung, die doch etwas verwirrt. "Dedicated in Loving Memory to the Victims of the R.M.S. Titanic". Ob die Erwähnung der Titanic eine Anspielung auf den Untergang der Literatur ist? Wer weiß.

Dann kommt eine Inhaltsangabe, damit meinen seinen "Liebling" auch schnell wiederfinden kann. Im Buch werden folgende Romane gezwitschert:

1. Paradise Lost - John Milton (S. 1-2)
2. The Metamorphosis - Franz Kafka (S. 3-4)
3. Oedipus the King - Sophocles (S. 5-6)
4. Childe Harold's Pilgrimage - Lord Byron (S. 7-8)
5. The Red and the Black - Stendhal (S. 9-10)
6. Macbeth - William Shakespeare (S. 11-12)
7. The Great Gatsby - F. Scott Fitzgerald (S. 13-14)
8. The Iliad - Homer (S. 15-16)
9. Hamlet - William Shakespeare (S. 17-18)
10. The Overcoat - Nikolai Gogol (S. 19-20)
11. The Old Man and the Sea - Ernest Hemingway (S. 21-22)
12. The Inferno - Dante Aligheri (S. 23-24)
13. A Hero of Our Time - Mikhail Lermontov (S. 25-26)
14. Beowulf (S. 27-29)
15. Candide - Voltaire (S. 30-31)
16. Doctor Faustus - Christoper Marlowe (S. 32-33)
17. Emma - Jane Austen (S. 34-35)
18. Great Expectations - Charles Dickens (S. 36-37)
19. Heart of Darkness - Joseph Conrad (S. 38-39)
20. King Lear - William Shakespeare (S. 40-41)
21. Lysistrata - Aristophanes (S. 42-43)
22. In Cold Blood - Truman Capote (S. 44-45)
23. Medea - Euripides (S. 46-47)
24. 1984 - George Orwell (S. 48-50)
25. On the Road - Jack Kerouac (S. 51)
26. Notes from Underground - Fyodor Dostoevsky (S. 52-53)
27. Robinson Crusoe - Daniel Defoe (S. 54-55)
28. Romeo and Juliet - William Shakespeare (S. 56-57)
29. Anna Karenina - Leo Tolstoy (S.58-60)
30. Sherlock Holmes - Sir Arthur Conan Doyle (S. 61-63)
31. Eugene Onegin - Alexander Pushkin (S. 64-66)
32. The Epic of Gilgamesh (S. 67-68)
33. The Odyssey - Homer (S. 69-70)
34. The Picture of Dorian Gray - Oscar Wilde (S. 71-73)
35. The Sorrows of Young Werther - Johann Wolfgang von Goethe (S. 74-76)
36. The Life and Opinions of Tristram Shandy, Gentleman - Laurence Sterne (S. 77-78)
37. Venus in Furs - Leopold von Sacher-Masoch (S. 79-80)
38. Mrs Dalloway - Virginia Woolf (S. 81-82)
39. Crime and Punishment - Fyodor Dostoevsky (S. 83-85)
40. Wuthering Heights - Emily Brontë (S. 86-87)
41. Gulliver's Travels - Jonathan Swift (S. 88-90)
42. Pride and Prejudice - Jane Austen (S. 91-93)
43. Sir Gawain and the Green Knights (S. 94-96)
44. The Adventures of Huckleberry Finn - Mark Twain (S. 97-98)
45. Frankenstein - Mary Shelley (S. 99-100)
46. Swann's Way - Marcel Proust (S. 101-102)
47. The Aeneid - Virgil (S. 103-104)
48. The Devil in the Flesh - Raymond Radiguet (S.105-106)
49. Dracula - Bram Stoker (S.107-108)
50. The Rime of the Ancient Mariner - Samuel Taylor Coleridge (S.109-111)
51. Lady Chatterley's Lover - D. H. Lawrence (S. 112-113)
52. Jane Eyre - Charlotte Brontë (S. 114-115)
53. Alice's Adventures in Wonderland - Lewis Carroll (S. 116-117)
54. The Tempest - William Shakespeare (S. 118-119)
55. Madame Bovary - Gustave Flaubert (S. 120-122)
56. Death in Venice - Thomas Mann (S. 123-124)
57. The Three Musketeers - Alexandre Dumas (S. 125-126)
58. Moby-Dick - Herman Melville (S. 127-129)
59. Don Quixote - Miguel de Cervantes (S. 130-131)
60. The Canterbury Tales - Geoffrey Chaucer (S. 132-133)

In der kurzen "Introduction" wird auf lustige Weise versucht zu erklären, warum dieses Buch entstanden ist. Um die großartige Literatur zu feiern, sie jedoch für alle kurz und verständlich rüberzubringen? Vielleicht.

Bei den Tweets selber steht oben drüber erstmal natürlich, was für ein Roman da gerade erniedrigt wird. Darunter steht dann ein Username mit einem @-Zeichen davor. Dieser User-Name gibt meist die Hauptfigur des Romans wieder, also z.B. Dr. Frankenstein, der sich hier den Username NotoriousDOC ausgesucht hätte (= berüchtigterDR). Was fehlt, ist das Datum und die Uhrzeit. Beim richtigen Twitter steht das ja auch da und man hätte sicherlich noch einen Schabernack damit treiben können.

Im hinteren Teil des Buches gibt es nach den Tweets Got sei Dank ein Glossar, ohne das ich aufgeschmissen gewesen wäre, denn einige Abkürzungen waren mir doch gänzlich unbekannt. Eine Hilfe für Leute, die mit dem Englischen Probleme haben, ist es natürlich nicht, aber wer sich mit den (Twitter-/Chat-)Abkürzungen nicht auskennt, dem wird hier ausgeholfen.

DIE SPRACHE
Wer nur sein Schulenglisch beherrscht, dürfte extreme Probleme haben. Schon alleine durch die Abkürzungen und den Versuch, die Sprache möglichst hipp und jung zu halten, macht es das ganze sehr schwer, den Text zu lesen. Selbst ich, die regelmäßig englische Bücher liest und Filme und Serien fast ausschließlich im Original sieht, hatte doch arge Probleme. Es sollten wirklich nur erfahrene Englisch-Leser zu diesem Buch greifen oder gleich die deutsche Fassung nehmen.

EIGENE MEINUNG
Nun aber genug drum rumgeredet. Fast genau 2 Stunden habe ich für das Buch gebraucht. Es war okay. Man kann eigentlich schon wieder sagen, dass ich enttäuscht war, weil ich doch gelesen hatte, dass es soooo lustig ist. Ist es nicht. Gut, ein paar mal habe ich geschmunzelt, aber das war es dann auch schon. Mein größtes Problem war dabei, dass ich nur wenige Romane kannte und noch weniger davon gelesen hatte. Kannte ich die Geschichte, habe ich die Anspielungen verstanden und es war viel besser zu verstehen als bei Romanen, die ich so absolut gar nicht kannte. Im Großen und Ganzen war die Auswahl zwar gut, da die großen Klassiker abgedeckt sind, aber es sind viele dabei, bei deren Wahl ich einfach den Kopf geschüttelt habe. Zumindest halte ich den Autoren zu gute, dass sie die Romane wirklich gelesen haben (oder zumindestens so tun).
Auch fand ich es nicht so toll, dass ein Roman innerhalb von durchschnittlich zwei Seiten abgehandelt wird. Innerhalb weniger Sätze wird die Handlung eines dickeren Wälzers erzählt UND soll noch lustig sein. Gut ist allerdings, dass man deswegen auch nur mal kurz in das Buch schauen kann, also z.B. auf Toilette. :D
Dann kam noch das Problem der Sprache hinzu. Ich bin über 30, keine hippe 15 mehr, die die Sprache missbraucht, wie es ihr gefällt. OMG, ich bin 10 Jahre älter als die beiden Autoren! Zudem bin ich wahrlich kein Freund von ständigen Abkürzungen, was mich schon auf Twitter selber ziemlich aufregt.
Insgesamt kann man wohl sagen, dass ich wahrscheinlich zu alt für dieses Buch bin, auch wenn ich guten Witz gerne mag - den finde ich hier aber nicht.
Vermisst habe ich J.R.R. Tolkien, "Catcher in the Rye", "Lord of the Flies", sowie "Harry Potter", Dan Brown und "Twilight", wobei letztere verständlicherweise fehlen, da die Autoren ja auf Klassiker der Literatur aus waren. "Harry Potter" findet man aber unter http://www.twitterature.us/uk/ex.htm, ebenso wie "The Da Vinci Code" und viele wurden in Neuauflagen eingefügt.

Fazit: Eigentlich ist die Idee ja nett, auch wenn sich die Autoren der behandelten Werke sicherlich im Grabe umdrehen werden. Es gab drei Dinge, die mich gestört haben: 1. Die Sprache, die darauf drängt unglaublich cool und hipp zu sein, und es bei der ganzen Anstrengung doch nicht schafft, sondern schnell nervt. 2. Die extremst kurze Behandlung der Werke (durchschnittlich innerhalb 2 Seiten ist ein Roman abgehakt und lässt dabei wichtige Dinge weg). 3. Die Auswahl der Werke. Ich bin mir ziemlich sicher, dass auch ein Durchschnitts-Amerikaner nicht alle der Werke kennt. Je weniger Romane man von der Liste kennt, desto unlustiger wird das "Twitterature". Kennt man einen Roman, ist es durchaus witzig. Und gut finde ich, dass man es gut mal zwischendurch lesen kann.
Empfehlenswert also nur für Bücher-Kenner, die keine Twitter-Hasser sind und sehr, sehr gut Englisch beherrschen.
Wenn ich es richtig mitbekommen habe, gibt es in den Neuauflagen immer wieder neuere Titel dazu, wie z.B. "Twilight" oder "Harry Potter", deswegen unbedingt auf spätere Auflagen achten!
Ich vergebe nur 2 Punkte, da es ein Buch ist, an das man sich nicht erinnern wird.