Rezension

Mehr Kammerspiel als Roman

Babylon
von Yasmina Reza

Bewertet mit 3 Sternen

Komplizenhafte Nachbarschaft

„Ist es vernünftig, sich um das Geliebtwerden zu bemühen? Ist das nicht eine jener Mühen, die von vornherein zum Scheitern verurteilt sind?

Elizabeth Jauze kennt sich mit Partys nicht aus, eigentlich hat sie weder die Wohnung noch den Freundeskreis dazu, aber spontan entschließt sich die in die Jahre gekommene Frau, ihr Wohnzimmer für ein Frühlingsfest auszustatten und bei dieser Gelegenheit gleich mal ihr Sortiment an diversen Sekt- und Weinkelchen aufzustocken, denn wie sie mit Erschrecken feststellt, hat sie nicht mal genügend Stühle geschweige denn Gläser für die geladenen Gäste. Einem mäßig unterhaltsamen Abend folgt eine umso schlaflosere Nacht, denn nach der Party erwürgt ihr befreundeter Nachbar Jean-Lino seine Frau und bittet die schockierte Elizabeth um Hilfe – es muss doch möglich sein, die Leiche unbemerkt aus dem Haus zu schaffen, wenn da nur nicht der für den Mörder unpassierbare Personenaufzug wäre. Ein kleiner Freundschaftsdienst ist doch kein Verbrechen und Elizabeth sieht die Notwendigkeit ihrer Mithilfe durchaus ein …

Dieser Roman klang für mich nach einer bitterbösen Erzählung mit unglücklichen, skrupellosen Menschen, die durch eine Vereinbarung zu Komplizen werden und deren Lebensgeschichte vielleicht noch weitere Leichen im Keller offenbart. Doch leider konnte „Babylon“ diesen Anspruch nicht erfüllen, denn es fehlt der Geschichte einerseits an Format, dann wieder an Tiefgang und letztlich vor allem an einer klaren Erzählstruktur. Deshalb konnte mich dieses skurrile Geschehen, über eine aus der Norm gelaufene Party nicht überzeugen obwohl es sich stellenweise ganz amüsant lesen lässt.

Durch einen durchweg kurzen, szenenhaften Schreibstil, der mich sehr stark an die Regieanweisung zu einem Bühnenstück erinnert hat, kam kein rechtes Gefühl für die Belange der Protagonisten auf. Oberflächlich betrachtet, entsteht sehr wohl ein Bild von der Nachbarin in ihrer Hello-Kitty Schlafanzughose und den Plüschpantoffeln oder auch vom Ehemann, der einen gesegneten Schlaf trotz Leiche im Obergeschoss hat und natürlich auch vom unfreiwilligen Mörder, der Katzen liebt aber Hühnchen nichts menschliches abgewinnen kann, doch das reduziert sich auf ihre Rolle, den Part den sie innerhalb der Erzählung einnehmen und verrät leider gar nichts zu Hintergründen, Gedankengängen und tatsächlichen Eigenschaften. Letztlich wirkt das ganze wie ein bizarr arrangiertes Kammerstück ohne tieferen Sinn.

Dennoch führt die französische Autorin mit leichter Hand durch ihr Buch, sie lässt hin und wieder sehr schöne, tiefgründige Sätze an die Oberfläche dringen und verbindet gekonnt eine abstrakte Handlung mit sehr normalen, alltäglichen Begebenheiten. Deshalb war der Realitätsfaktor nicht so gering wie befürchtet und das mag ich nun wiederrum an solchen Geschichten, die mehr beschreiben als bewerten, die einen ungetrübten Blick auf eine ungewöhnliche, fast unvorstellbare Situation werfen.

Fazit: Ich vergebe 3 Lesesterne für diesen kurzen, unterhaltsamen Roman über eine Wohngemeinschaft, die zwischen komplizenhafter Nachbarschaft und abschreckendem Beispiel angesiedelt ist und die den Leser in eine gar absonderliche Aufführung mitnimmt, die weder besonders erschreckend noch bitterböse wirkt. Gezeichnet werden Menschen, die handeln, die unterlassen und denen es nicht nur um ihre eigene Meinung geht, sondern auch um die Interaktion miteinander. Leider bleibt „Babylon“ sehr oberflächlich und lässt mich eher ein argwöhnisches Auge auf große Koffer in kleinen Fahrstühlen werfen, als auf die Schuld, die ein Mord normalerweise hervorruft.