Rezension

Mein erstes Buch von Jojo Moyes - Volltreffer

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von Jojo Moyes

Bewertet mit 4.5 Sternen

Zwei Jahrhunderte, zwei Länder in Europa, zwei Frauen, ihre Ehemänner, zwei Schicksale, ein Portrait der einen Frau, das gleichzeitig auch zum Schicksal der anderen Frau wird.

Doch die Aussage aus dem Teaser ist fast zu wenig, denn Jojo Moyes berichtet von gleich mehreren ungewöhnlichen, starken Frauen, die zu Lebzeiten Heldinnen waren und andere in ihrer Überzeugung stützen. Wenn es sein muss, auch über Ländergrenzen und Jahrhunderte hinweg.
Verbindung zwischen Sophie und Èdouard ab 1912 und Liv und David bis 2006 ist das Portrait, das der junge Matisse-Schüler Édouard nach der Hochzeit von seiner jungen Ehefrau malte – Sinnbild für Weiblichkeit, Entschlossenheit, Stärke und Geliebt-Werden.   Die verschlungenen und schicksalsträchtigen Pfade, auf denen das Ölbild seinen Weg zu Liv gefunden hat, die jedoch gut gehütete Geheimnisse einstiger Weggefährten Sophies und deren Nachkommen sind, führen schließlich dazu, dass Liv vier Jahre nach dem frühen Tod Davids vor einem Abgrund steht, der sie zu verschlingen droht. Finanziell ruiniert, gesellschaftlich isoliert, bedroht. Doch wie auch Sophie hundert Jahre vor ihr beweist sie Willensstärke und Mut, beißt die Zähne zusammen, verfolgt ihren Weg und vertraut ihrem Gefühl.
Der besondere Reiz dieses Romans macht für mich aus, dass er zunächst von Sophie und Édouard in Paris und St. Péronne erzählt, von den glücklichen Zeiten des Paares bis zum Ersten Weltkrieg, der den Maler als Soldat fordert und Sophie zur (wenn auch vermeintlich gefallenen) Heldin des Besatzungsalltags entwickelt, ohne ihre Schwächen auszublenden. Der erste Teil des Buches ist in der Vergangenheit erzählt, macht Sophie durch ihre Familie, die vielen handelnden – oder auch nicht handelnden - Personen die auf ihrer Seite stehen bzw. gerade durch ihre Kritiker und Widersacherinnen so lebendig und facettenreich, ganz wie das impressionistische Portrait von ihr.
Im zweiten Teil, erzählt in der Gegenwart, lernt man zunächst eine trauernde junge Witwe kennen, die sich ganz in sich zurückgezogen hat. Einzige Verbindung zu ihrem verstorbenen Ehemann ist Sophies Portrait, das David seiner Liv auf der zweiten Hochzeitsreise schenkte. Doch damit scheint es Liv, glaubt man ihrem Umfeld, hier ihr Vater und gerade Menschen, die sie nach Jahren wieder trifft oder solche, die sie neu kennenlernt, nach vier Jahren sehr zu übertreiben. Im Kampf um das Gemälde, das von Édouards Nachfahren als gestohlen betrachtet und im Rahmen eines Beutekunst-Verfahrens zurückgefordert wird, ist sie bereit alles zu opfern. Je mehr sie über Sophie erfährt, umso verbitterter ihre Haltung. Selbst eine neue Liebe soll an der Herkunft des Kunstwerks scheitern, denn Paul, kennengelernt als Retter in der Not, ist gleichzeitig an dem Unternehmen beteiligt, das die Brüder Lefèvre beauftragt hat, das Ölbild ihres Vorfahren wiederzubeschaffen.
Es scheint als habe es tatsächlich einen Grund, warum Liv Sophies Portrait als Geschenk erhält. Als würde die Frau auf dem Bild der vermeintlichen Besitzerin etwas von ihrer Strahlkraft und ihrem Vertrauen in andere Menschen abgeben. Denn es gelingt, dass viele lose Enden verknüpft werden, persönliche Rückschläge und Tiefen überwunden und eine emotionale, wunderbare und dichte Gesamtgeschichte entsteht, die anrührt ohne trotz des versöhnlichen Endes zu kitschig zu geraten.
Gerade Personen in Sophies und Livs Leben spiegeln sich in vielen Punkten. So z.B. ähneln sich für meine Begriffe Liliane und Mo. Sie sind zunächst Gegenpole zu den beiden Frauen, erweisen sich wenn es darauf ankommt als Freundinnen, verlassen sie aber auch wieder, weil sie sich oder anderen gegenüber loyal bleiben wollen. Die Ehemänner sind streng genommen beide Künstler, die ihren Frauen zeigen, was Freiheit bedeutet. Die weiteren beiden Männer, die in das Leben von Sophie und Liv schicksalhaft eingreifen, sind fasziniert von den Frauen, enttäuschen sie bitter, erweisen sich jedoch, trotz eigener Enttäuschungen, als verlässlich und auf ihre Weise ehrenhaft. Die kritischen und negativen Bewohner von St. Péronne, die nur zu bereitwillig Verrat an Sophie üben, sind vergleichbar mit Davids Geschäftspartner Sven und der aufgehetzten Meute, die Liv vor dem Gerichtssaal angreift.
Meiner Meinung nach ist die Lektüre von „Die Tage in Paris“, die die Vorgeschichte von Sophie und Édouard sowie von David und Liv erzählen soll, nicht zwingend notwendig, da ich alle Informationen finde, die ich zum Verständnis der Story benötige. Sicherlich ist es aber eine spannende Ergänzung, um weitere Facetten der jeweiligen Beziehungen zu erfassen.