Rezension

„Mein Hund und sein Mensch“ wäre ein passenderer Titel gewesen...

Der Hund und sein Mensch - Josef H. Reichholf

Der Hund und sein Mensch
von Josef H. Reichholf

Bewertet mit 2.5 Sternen

Ich dachte, ich hätte ein größtenteils wissenschaftliches Buch in Händen, ähnlich dem von Bryan Sykes aus dem Jahr 2018 (engl. Version) bzw. 2019 (dt. Übersetzung). Herr Reichholf ist schließlich Wissenschaftler, Biologe mit dem Spezialgebiet der Zoologie, er wird also recherchiert haben. Meine Erwartungen blieben allerdings bereits in den ersten hundert Seiten des Buches stecken, sodass ich mich regelrecht zwingen musste, es überhaupt zu Ende zu lesen...

Reichholfs These lautet: Wölfe erkannten die Vorteile des Anschlusses an den Homo Sapiens, da diese effektiv jagten und ‚verschwenderisch‘ haushalteten, also viel der Beute übrig ließen. Die Wölfe domestizierten sich daher selbst durch einen freiwillig vollzogenen Anschluss an den Menschen, mit dem über die Jahrtausende hinweg auch ein genetischer bzw. körperbaulicher Wandel stattfand. So weit, so plausibel. Die Beweisführung dieser These erschließt sich mir jedoch nur sehr schlecht, da im ersten Teil des Buches mehr von Hyänen, Schakalen, Geiern, Parier-Hunden und Neandertalern als von Wölfen geschrieben wird. Mir fehlt des Pudels Kern! Die häufigen Abschweifungen machen es sehr schwer und unübersichtlich, den Argumenten für bzw. wider seine These folgen zu können. Gleichzeitig erwähnt Reichholf Sykes These von der Jagdgemeinschaft zwischen Wolf und Mensch und bemängelt die fehlenden Beweise. Wer im Glashaus sitzt...

Zudem trieft dieses Werk von Vorurteilen, Rasse-Stereotypen und Abfälligkeiten zu Hundetraining, dass es mir den Blutdruck hochtrieb! Dackel werden als „Wadenbeißer“ (S. 49) abgestempelt, Jagdhunde werden als „dressiert[e]“ Zirkuspferde – die fast schon wider die Natur erscheinen – dargestellt (S. 103), und am Ende plädiert Reichholf dafür, unsere Hunde generell weniger zu „dressieren“ – ein Begriff, der mir ganz arg gegen den Strich geht. Hunde werden trainiert – nicht dressiert! -, damit sie das Höchstmaß an Freiheiten genießen können: laufen ohne Leine, ihrer Rasse entsprechend mit Freude (!) arbeiten (Jagd- und Hütehunde) oder auch beeinträchtigten Menschen eine große Hilfe zu sein.

Das Herrn Reichholf dies nicht gelungen ist, weil er seinem Hund Branko ein grenzenloses Individualleben ermöglichen wollte, beweisen seine Beispiele im zweiten Teil des Buches meisterlich. Ein Hund, der Besucher anknurrt, den der Kontrollverlust über seine Familie so sehr stresst, dass er in einer Hundepension unter anderen Hunden fast verendet oder der selbst bestimmt, wann er das Haus verlässt bzw. betritt, indem er sich selbst die Türen öffnet... Branko war meiner Meinung nach kein Beispiel für einen Vorzeigehund, aber da hat natürlich jeder eine andere Auffassung. Allein schon die Erzählung über die ‚Auswahl‘ des Züchters verursachte bei mir Schnappatmung! Heutzutage nennt man diese Menschen „Vermehrer“, nicht Züchter! Und ein eben solcher wäre auch Herr Reichholf geworden, wenn er seinen Hund hätte decken lassen, so wie er es mehrfach als Wunsch erwähnt.

Der einzige Abschnitt, der mich etwas versöhnlich mit diesem Buch stimmt, ist der über die Hormone der Hunde und Menschen. Etwas derartiges hätte ich mir vermehrt gewünscht in dieser Monografie. Stattdessen folgte ein meiner Meinung nach überflüssiges Kapitel über Katzen...

Die Moral von der Geschicht? Nur weil man Biologe ist, hat man nicht automatisch Ahnung von Hunden und ihrer Erziehung.