Rezension

Mein Miroloi muss ich mir selber singen

Miroloi - Karen Köhler

Miroloi
von Karen Köhler

Bewertet mit 4 Sternen

Auf einer abgeschiedenen Insel lebt eine Dorfgemeinschaft nach ihren eigenen strengen Regeln, die der Ältestenrat basierend auf der heiligen Khorabel vorgibt. Frauen dürfen nicht lesen und schreiben lernen, Männer dürfen nicht kochen und singen. Moderne Geräte gibt es nur wenige, denn der Rat entscheidet, welche vom Händler gebrachten Waren auf der Insel bleiben dürfen. Auch dass die junge Frau, die einst vom Bethaus-Vater gefunden wurde, keinen Namen haben darf, wurde von ihm bestimmt. Die Dorfgemeinschaft grenzt sie aus und lässt sie ihre Verachtung spüren, denn sie soll Unglück bringen. Doch ihre Neugier ist groß und sie beginnt heimlich, die Regeln zu brechen.

Der Roman ist aus der Sicht namenlosen Frau geschrieben, die beim Bethaus-Vater aufgewachsen ist. Ihre Tage sind angefüllt mit harter Arbeit: Felder müssen bestellt, Gärten gepflegt, Holz gesammelt, Gerichte gekocht und Kleider genäht werden. Sie gibt dem Leser zahlreiche Einblicke in das Dorfleben, das an die Amish People erinnert, denn jeglicher Fortschritt wird abgelehnt. Zudem besteht der Ältestenrat nur aus Männern und die Gesetze unterdrücken die Frauen auf verschiedenste Weise.

Die Dorfbewohner kennen kein anderes Leben, denn es ist nicht gestattet, die Insel zu verlassen. Die Erzählerin ist gefangen in einem Leben als Außenseiterin. Sie wird beschimpft, beschuldigt und immer wieder abgewiesen. Und es bleibt nicht immer bei Worten, das musste sie schon vor Jahren schmerzlich erfahren. In ihre Welt einzutauchen und sie zu begleiten tut weh und brachte mich als Leser ins Nachdenken über Recht und Ungerechtigkeit.

Die Frau gibt jedoch nicht auf, denn sie ist klug und neugierig und hat zum Glück einige wenige Menschen, die sie nicht abweisen. Der Bethaus-Vater als ihr Finder lässt sie bei sich wohnen, versucht sie zu schützen und teilt heimlich verbotenes Wissen mit ihr. Das gleiche gilt für Mariah, die für den Bethaus-Vater kocht. Offene Gespräche mit ihnen sind immer wieder kleine Hoffnungs-Inseln im Alltag der Protagonistin.

Das Dorfleben wird ausführlich beschrieben. Für mich hätten einige Parts straffer erzählt sein können, da ich mir das Leben in solch einer Gemeinschaft bald gut vorstellen konnte. Was sich hingegen schleichend ändert ist das Leben der Erzählerin. Neues Wissen und eine überraschende Begegnung lassen sie immer stärker die Regeln hinterfragen. Sie lehnt sich still und immer umfassender auf, während Ereignisse im Dorf die Situation weiter verschärfen. Wie lange kann das noch gut gehen?

„Mein Miroloi muss ich mir selber singen“, das sind die Worte der Protagonistin. Denn sie will nicht auf ihren Tod warten, nach dem die Hinterbliebenen üblicherweise das Leben des Verstorbenen besingen. Und wer sollte das dann schon für eine Namenlose tun? Deshalb legt sie in Form dieses Romans ein Miroloi für sich selbst vor. Ihre Sprache ist einfach und gleichzeitig sehr poetisch und berührend. Das steht in Kontrast zu den beklemmenden Ereignissen im Dorf. Ich bangte mit der Erzählerin und meine Wut wuchs immer weiter, denn was passiert ist nicht fair und lässt sich trotzdem nicht aufhalten. Ein wichtiger Roman über Ausgrenzung, Feindseligkeiten und Unterdrückung ebenso wie Mitgefühl, Zusammenhalt und Auflehnung.