Rezension

Mein Name ist Mary

Die Farbe von Milch
von Nell Leyshon

Mein Name ist Mary und ich habe gelernt, ihn zu buchstabieren. M. A. R. Y. So schreibt man die Buchstaben.

Es ist 1831 und ein fünfzehnjähriges Mädchen schreibt rückblickend seine Geschichte auf. Sie lebt mit Vater, Mutter, Großvater und drei älteren Schwestern auf einem Bauernhof, und ihr Leben ist geprägt von Arbeit, Lieblosigkeit und Prügeln. Aber Mary hinterfragt ihr Leben nicht; sie kennt es nicht anders, und sie kann keine Wünsche oder Träume benennen. Doch dann sucht der Dorfpfarrer eine Hilfe für seine kranke Frau, und Marys Vater ist gern bereit, Mary zu schicken und ihren Lohn einzustreichen. Nach ihrer Meinung wird sie nicht gefragt.

Mary erlebt eine neue Welt, ganz anders als alles, was sie bisher kennt. Sie sagt ihre Meinung unverblümt, und erstaunlicherweise gewinnt sie damit die Sympathie der Pfarrersfrau. Äußerlich hat sich viel für sie verbessert; so erhält sie genug zu essen, neue Kleidung und ein eigenes Bett, und doch sehnt sie sich zurück - aber das lassen Vater und Dienstherr nicht zu.

Diese anfangs so einfache Geschichte nimmt eine dramatische Wendung, doch soll davon hier nichts geschrieben werden - schon der Klappentext deutet zu viel an. Die Handlung ist daher in weiten Teilen absehbar. Trotzdem hat mich die Geschichte gefesselt: Der eine Grund dafür ist die Protagonistin. Mary ist ein ganz besonderer Charakter: Obwohl sie so schlechte Ausgangsbedingungen hat, ist sie lebensfroh und kann das Positive sehen. Sie weiß, dass sie sich unterordnen muss, aber sie lässt sich nicht den Mund verbieten und sagt trotz allem ihre Meinung. Sie hat eine starke Persönlichkeit, die sie mir sehr sympathisch macht. Der andere Grund ist der Schreibstil: Nell Leyshon lässt Mary selbst erzählen, und die schreibt, wie ihr der Schnabel gewachsen ist. Sie kennt keine hochgestochene Schriftsprache, sondern redet einfach geradeaus. Da ist kein Platz für Analysen oder Gefühlsduselei; Mary schreibt über Tatsachen und Handlungen; den Rest kann sich der Leser selbst ausmalen. Und bei mir hat gerade dies dazu geführt, dass ich mich in das Mädchen hineinversetze und mitfühle.

Sicher kann man darüber diskutieren, ob sich ein solcher Charakter in einer patriarchalischen Welt mit tyrannischen Strukturen überhaupt entwickeln konnte. Zu einem authentischen Schreibstil hätten außerdem viele Rechtschreibfehler gehört. Auch einige kleinere Ungereimtheiten passen nicht so ganz. Aber trotz allem: Das Buch hat mich gefesselt, Mary hat mich berührt. Für mich war die Lektüre bereichernd.