Rezension

MEIN Stück vom Kuchen

Das Nest - Cynthia D'Aprix Sweeney

Das Nest
von Cynthia D'Aprix Sweeney

Vier Geschwister, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Nur die Aussicht auf das baldige Erbe verbindet sie und ist auch der einzige Anlass, sich wiederzusehen. Was daraus entsteht, ist wenig humorvoll. Egoismen, mangelnde Moral, Kriecherei. Jeder möchte sein Stück vom Kuchen abhaben und jeder denkt dabei, dass er das größte Stück verdient hat. Es muss etwas herausspringen, denn das noch nicht einmal geerbte Geld hat jeder schon für sich verplant. Melody wachsen die Ausgaben für Haus und Kinder über den Kopf, Playboy Leo braucht sowieso immer Geld, Beatrice, wenn schon nicht so erfolgreich im Beruf, möchte sich wenigstens ein schöneres Heim gönnen und Jack Geschäft lechzt schon seit längerem nach einer Finanzspritze. Was steht einem zu? Was ist man selbst schuldig? Die verschiedenen Ansichten darüber machen Diskrepanzen deutlich und provozieren Konflikte. 
Im ersten Teil des Buches treffen sich die Plumb-Geschwister in einer Bar. Während alle nacheinander eintrudeln, bekommt der Leser umfassend Gelegenheit, die vier kennen zu lernen, ihre Vergangenheit, ihr vermeintlich eigenständiges Leben, ihre Freuden und Ängste, aber vor allem ihre neuen Pläne mit dem Geld – des Nestes, ihres Erbes. Sympathischer werden sie einem dadurch nicht. Man kommt ins Grübeln, was in der Kindheit schief gelaufen ist. Geschwisterliebe ist kaum zu spüren. Ebenso wenig gehen sie auf die Trauer der Mutter ein. Sie kommt in diesem Buch bezeichnenderweise am wenigsten zu Wort. 
Das Nest, der Hort ihrer Kindheit, im Laufe der Jahrzehnte zum späteren Erbe geworden, ist nun ein Pulverfass. Und der Druck wächst dementsprechend. Als Leser möchte man fest daran glauben, dass es in der eigenen Familie anders aussieht. Doch tut es das wirklich? Auch die Plumbs ahnten vorher nicht, was eine Erbschaft so alles auslösen kann. Dem einen oder anderen wird so der Spiegel vorgehalten. Es liegt an uns, ob wir hineinsehen und erkennen oder nicht. 
Vor uns spielt sich ein eher tragischer als komischer Zirkus ab, eine abgründige Offenbarung des menschlichen Wesens, ein Seelen-Striptease, bei dem jeder die Hüllen fallen lässt, sich aber warm angezogen fühlt. Man steht aber dennoch unbeteiligt dabei. Ich zumindest bin mit den Charakteren nicht so recht warm geworden. Das liegt aber weniger am Schreibstil als vielmehr an meiner eigenen Sicht auf die Dinge. Manche Interna einzelner Familienangehöriger gehen mich auch einfach nichts an, sind nebensächlich. Die Familie bleibt unter sich. Interessant wiederum ist die Meinung, die jeder so für sich privat über die anderen hat. Der Leser ist somit stets der Einzige, der alles weiß. 
Im ersten Teil des Buches ist noch alles soweit in Ordnung, doch die An(Spannung) steigt mit der Angst der Geschwister, zu kurz zu kommen. Der Ton wird allmählich schärfer. Diese Steigerung flaut allerdings hin und wieder ab, weil die Handlung sich zeitweise in Nebensächlichkeiten verliert und man als Leser den Eindruck hat, dass die Handlung abschweift. 
Eine Analyse des Miteinanders bleibt auch im zweiten Teil aus. Jeder dreht sich um sich. Es wird ruhiger. Die Konfrontationen verebben, jeder leckt seine Wunden, die das Leben schlug. Bedauernswert einerseits, doch nicht zu bedauern andererseits. Eine gehobene Gesellschaft und doch irgendwie verkommen. 
Der letzte Teil des Buch beinhaltet die Konsequenzen, die jeder für sich aus den Geschehnissen zieht. Eine gewisse, wenn auch für manches Familienmitglied unbefriedigende Struktur ist wieder erkennbar. Hat sich wirklich etwas verändert? Geht nun wieder jeder seiner Wege, driftet man wieder auseinander? 
Eine Handlung, die bei mir nach dem Lesen schnell verblassen wird, tangieren die Befindlichkeiten dieser Familie meine eigenen glücklicherweise nicht im geringsten.